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Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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und Hass gegenseitig umbringen!«
    Früher hast du anders gedacht, warf der Werwolf ein.
    » Schon möglich«, gab Ivy kurz angebunden zurück. Sie begab sich wieder einmal in die Bibliothek des Inner Temple , wo sie in der geheimen Kammer, die sie entdeckt hatte, nach und nach alle Bücher und Schriften studierte, die dort lagerten. Da sie ihn nicht ausdrücklich wegschickte, folgte Seymour ihr in den winzigen, stickigen Raum und legte sich zu ihren Füßen, während sie die brüchigen Seiten eines alten Folianten durchblätterte. Obwohl es aussah, als würde sie jedem Blatt nur einen flüchtigen Blick gönnen, war Seymour überzeugt, dass ihr nicht eine Silbe entging und sie sich jedes Wort genau einprägte.
    » Du schmeichelst mir und meinen Fähigkeiten«, sagte Ivy beiläufig, ohne von ihrer Lektüre aufzusehen.
    Wohl kaum, wenn du es schaffst, nebenher auch noch in meinen Gedanken zu lesen.
    » Eine alte Gewohnheit.«
    Sie schwiegen lange, während sich Ivy durch drei weitere Bücher arbeitete. Dann schob sie die Wälzer von sich, blieb aber reglos sitzen. Seymour döste vor sich hin, bis eine Aura von Wut ihn streifte, die von einer Welle von Hass abgelöst wurde. Beunruhigt hob er den Kopf und studierte Ivys Miene, auf der er die wechselnden Gefühle zu erkennen glaubte. Ihr Geist schien weit weg zu weilen, als habe er ihren Körper verlassen und nur eine leblose Hülle zurückgelassen. Doch wohin war er gereist?
    Nicht zum ersten Mal stieg in Seymour ein schlimmer Verdacht auf. Wann hatte dieses seltsame Verhalten begonnen? Er grübelte darüber nach, obwohl er die Antwort eigentlich wusste, doch er fürchtete sich davor, was dies für sie alle bedeuten konnte– und für Ivy. Ja, es hatte nach ihrer Befreiung aus den Händen Draculas angefangen. Offensichtlich hatten die Entführung und ihre Gefangenschaft auf der Festung in den Karpaten Spuren in ihrem Geist hinterlassen. Und prägte ihn noch immer?
    Seymour sah, wie sich Ivys Miene entspannte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, dann öffnete sie die Augen und sah ihn mit klarem Blick an. Ihr Geist war in die Bibliothek des Inner Temple zurückgekehrt.
    » Schau mich nicht so besorgt an«, sagte Ivy ein wenig unwirsch.
    Ich habe aber allen Grund zur Sorge. Deine Reise nach Transsilvanien hat dich verändert.
    » Meine Reise? Das hast du schön gesagt. Als ob ich dorthin gefahren wäre, um mir die schönen Berge anzusehen.«
    Ich weiß sehr wohl, dass er dich gezwungen hat, indem er deinen Geist beherrscht, ja, umklammert und geradezu lahmgelegt hat, und genau das ist der Grund meiner Sorge. Merkst du, wie häufig du seit deiner Rückkehr geistig abwesend bist? Wie sehr deine Stimmungen schwanken und wie oft ich Gefühle mitbekomme, die nicht die deinen zu sein scheinen? Ich fürchte, Dracula ist zu tief in deinen Geist eingedrungen. Seymour machte eine Pause, um zu sehen, wie sie seine Worte aufnahm, ehe er das aussprach, was ihm auf der Seele brannte.
    Könnte es sein, dass die Verbindung zwischen seinem und deinem Geist nicht wieder vollständig gelöst wurde? Wäre es möglich, dass er noch immer unbemerkt Einfluss auf dich ausübt und vielleicht gar deine Gefühle und Handlungen beeinflusst?
    Ivy schlug das letzte Buch zu und räumte es an seinen Platz zurück. Dann erst drehte sie sich zu Seymour um. In ihrer Miene war nicht zu lesen, wie sie seine Worte aufnahm. Sie schritt auf die Geheimtür zu und ließ den Wolf hindurchschlüpfen, ehe sie sie hinter ihm schloss. Er dachte schon, er würde keine Antwort auf seinen Verdacht bekommen, als Ivy sich ihm noch einmal zuwandte und ungewohnt sanft sagte:
    » Sorge dich nicht, mein Bruder. Es ist nicht so, wie du fürchtest. Nein, ganz im Gegenteil. Ganz im Gegenteil!«
    Und mit diesen rätselhaften Worten ließ sie ihn mit seinen eigenen Gedanken zurück.

Das Urteil
    Latona entfaltete den Brief und las ihn noch einmal, obwohl sie ihn längst auswendig konnte. Es waren ja auch nicht viele Worte, die das feine handgeschöpfte Papier bedeckten. Sie betrachtete die zierliche Schrift mit ihren feinen Schwüngen. Immer wieder glitt ihr Blick zu den letzten beiden Worten:
    Ivy-Máire.
    Das Bild der Vampirin stieg vor ihr auf. Wie sie sie zum ersten Mal gesehen und für ein Kind gehalten hatte. Doch bereits beim zweiten Hinsehen war ihr klar geworden, dass der schmale Körper und das junge Gesicht trogen. Vielleicht war Ivy der mächtigste Vampir, den sie je getroffen hatte.
    Mächtiger selbst als Dracula?

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