Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
suchen, wurden unter den Tudor- und Stuartkönigen immer wieder solche Hinrichtungen zelebriert.«
Tammo runzelte die Stirn. » Meinst du, das war so eine Art Hinrichtung? Dass der Mörder in Anlehnung an diese mittelalterlichen Urteile Mary Nichols als Verräterin bloßstellen wollte?«
Malcolm hob die Schultern. » Keine Ahnung. Eine Möglichkeit wäre es.«
» Oder es richtet sich gegen ihre Weiblichkeit«, meldete sich Chiara zu Wort. » Dann hätten wir noch einen Frauenfeind. Oder, was wahrscheinlicher ist, den gleichen Mörder, dessen Grausamkeit sich von seinem ersten zum zweiten Opfer gesteigert hat.«
Alisa sah sie nachdenklich an. » Dann wird er es wieder tun.« Es war keine Frage, dennoch nickten sowohl Chiara als auch Gordon und Lady Margaret.
» Ja, das ist anzunehmen«, sagte die Vyrad. » Wenn er einen solchen Hass auf Frauen in sich trägt oder er nur durch solch eine Bluttat Befriedigung empfinden kann, dann wird der Drang bald wieder übermächtig und kann nur durch eine neue blutige Tat gedämpft werden.«
» Wie lange kann das dauern?«, fragte Luciano.
» Kürzer als zwischen dem ersten und dem zweiten Opfer«, behauptete Leo.
» Wie kommst du darauf?«, wollte Luciano wissen.
» Wenn wir von der zunehmenden Grausamkeit des Mordes auf eine Steigerung des Hasses oder des Triebes schließen, dann vermute ich, dass auch die Befriedigung, die der Tat folgt, immer kürzer anhält.«
» Dann wird er sein nächstes Opfer noch schlimmer zurichten?«, warf Alisa ein.
» Das ist durchaus möglich«, stimmte Lady Margaret zu.
Die Erben redeten aufgeregt durcheinander. Einige verlangten, den Tatort zu untersuchen, andere überlegten, ob sie sich den Leichnam– zu Studienzwecken– ansehen sollten, solange er noch in der Leichenhalle aufbewahrt wurde. Oder sollten sie zu Scotland Yard gehen und nachsehen, was die Kriminalpolizei an diesem Tag noch herausgefunden hatte, um dann die unbeantworteten Fragen weiterzuverfolgen?
Aber Lord Milton wollte davon nichts wissen. Er bestand darauf, dass sie ihren Übungsfall zu Ende brachten. Als ob das in dieser Nacht wichtig gewesen wäre! Selbst Alisa murrte. Doch der Vyrad ließ sich nicht erweichen. Fürchtete er gar, die jungen Erben würden in ihrem Eifer wichtige Spuren zerstören? Oder dass sie Erfolg haben würden, den Mörder finden und dann– ja, was dann? Ihn Scotland Yard ausliefern?
Pah, wir haben ja gesehen, wie gut die Gerechtigkeit in London funktioniert, mischte sich Tammo ein. Soll man wirklich riskieren, dass dieser Mörder durch die Dummheit der Justiz womöglich freikommt und weitere Frauen abschlachtet?
Würde dich das kümmern?, wunderte sich Leo. Ich wusste nicht, dass auch du so leidenschaftlich am Geschick der Menschen Anteil nimmst. Ich dachte, das sei Alisas Spezialität.
Das schon, gab Tammo zu. Aber ich finde, solch ein Abschaum sollte gleich gerichtet werden, wenn man ihn ergreift. Wozu noch ein langes Verfahren …
Er sandte Leo ein entwaffnendes Grinsen über den Tisch zu.
Du meinst, bei solch einem Menschen, der mehr einem Monster gleicht, könnte man eine Ausnahme im Vertrag zulassen? Was würde es für einen Unterschied machen, ob sein Henker einen Schatten wirft oder nicht und sein vergossenes Blut einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden würde.
Tammo nickte. Ich sehe, wir verstehen uns.
*
Verehrter Doktor Abraham van Helsing,
nun ist es so weit. Das Warten hat ein Ende. Wollen Sie beenden, was Ihr Urgroßvater begonnen hat? Ihm war es nicht vergönnt, seine Rache für den Tod seiner Gattin und zwei ihrer Kinder zu Ende zu bringen. Damals gehörte Dracula der Triumph des Sieges, obgleich auch er den Schmerz des Verlustes erleiden musste, der ihn tief traf und noch immer an seiner Seele frisst. Insofern war die Strafe vielleicht härter, als wenn es ihrem Ahn gelungen wäre, auch Dracula zu zerstören. Wer weiß?
Nun jedoch ist der Tag der Abrechnung gekommen. Zögern Sie nicht. Reisen Sie noch heute nach London. In der Nacht der großen Finsternis, wenn die Sonne sich wendet, wird sich Draculas Schicksal entscheiden. Bringen Sie Ihren Freund Bram Stoker mit. Auch er hat sich das Recht erworben, Zeuge von Draculas Ende zu werden.
Sie werden weitere Anweisungen in seinem Haus vorfinden. Halten Sie sich an den Plan! Greifen Sie nicht eigenmächtig ein, wenn Sie wollen, dass es dieses Mal gelingt, die Welt vom ältesten und mächtigsten aller Vampire zu befreien.
Ich erwarte Sie in der Nacht des 21.
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