Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
nicht abgeneigt schienen. Zuerst zogen sie zu viert durch die Pubs bis zur Whitechapel High , dann, so gegen halb zwölf, teilten sie sich auf. Pearly Poll nahm ihren Klienten in die Angel Alley mit, während Martha mit dem ihren durch den Torbogen neben dem White Hart Pub verschwand, der zum George Yard führt.«
» Ein Bajonett!«, rief Alisa triumphierend. » Ich habe es mir gedacht. Die tiefen Stichwunden stammen von einem Bajonett.«
» Schon möglich«, gab Gordon zu.
» Und? Konnte die Polizei die beiden Grenadiere schon aufspüren und den Mörder verhaften?«
Gordon schüttelte den Kopf. » Noch nicht. Aber es wird nach ihnen gefahndet.«
Mehr war nicht zu erfahren.
Falls Alisa gehofft hatte, die Erben würden sich in dieser Nacht auf die Suche nach dem Mörder von Martha Tabram machen, so wurde sie enttäuscht. Lord Milton bestand darauf, die Gerichtsverhandlung, die sie in der Nacht zuvor unterbrochen hatten, weiterzuführen und mit der Vernehmung der Zeugen fortzufahren. Er forderte Leo auf, seinen Platz als Richter wieder einzunehmen, und die anderen Erben, ihren zugewiesenen Rollen zu folgen.
Alisa unterdrückte ihren Unmut. Sie hätte lieber den Mörder der vergangenen Nacht gejagt und ihn seiner gerechten Strafe zugeführt.
Schwesterherz, nun reg dich nicht so auf. Es ist bestimmt nicht so lustig, wie du denkst, ganz London nach zwei Infanteristen zu durchkämmen. Konntest du die Witterung des Mörders aufnehmen? Ich nicht. Es waren zu viele Spuren auf dem Treppenabsatz, um sich auf eine festzulegen. Wie stellst du dir das ohne eine Witterung vor? Was glaubst du wohl, wie viele Grenadiere es rund um London gibt? Und außerdem können sie genauso gut auf Urlaub gewesen sein und die Stadt bereits verlassen haben. Was ich sogar für wahrscheinlich halte. Nein, ich glaube, wir hätten nicht halb so viel Spaß, wie du dir jetzt vorstellst. Überlassen wir diese Sisyphusarbeit lieber der Polizei.
» Es geht hier nicht um Spaß, sondern um die Aufklärung eines Mordes!«, ereiferte sich Alisa.
» Ja, ja, Recht und Gerechtigkeit. Ich weiß, ich weiß, und du bist der Rächer aller betrogenen Seelen. Alisa, tu mir einen Gefallen, und lass das sein. Das nervt und es langweilt uns zu Tode!«
Empört sah Alisa Tammo nach, der sich fröhlich pfeifend auf seinen Platz begab.
Außer Alisa hatten die meisten Erben den Fall um die ermordete Prostituierte bereits vergessen, als einige Nächte später Gordon erneut mit einer Meldung aus Whitechapel kam. Dieser Teil des Eastends mit seinem Schmutz, der bitteren Armut und seiner Hoffnungslosigkeit schien sein bevorzugtes Jagdgebiet zu sein. Oder hatte er geahnt, dass über kurz oder lang, wieder etwas passieren würde?
Nun, jedenfalls störte er noch einmal– glücklicherweise, wie sich die Pyras mit Tammo einig waren– einen Vortrag von Lord Milton, der heute über einige berühmte Fälle referierte, in denen die Vyrad als Verteidiger der Angeklagten entscheidend zur Findung der Wahrheit beigetragen hatten.
Es war noch nicht einmal Mitternacht, doch Fernand gähnte bereits unverhohlen, als Gordon eintrat und Lord Milton fragte, ob er ihn mit einem interessanten Fall unterbrechen dürfe.
Der Vyrad forderte ihn auf, vorzutreten und zu berichten. Auch Lady Margaret und einige andere Barrister traten näher, um Gordons Bericht zu lauschen.
» Es ist wieder geschehen!«, sagte Gordon mit genug Dramatik in der Stimme, dass auch die letzten Unterhaltungen unter den Erben verstummten, und er ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein konnte.
» Gestern ist in den frühen Morgenstunden in Whitechapel wieder eine Prostituierte ermordet worden. Wenn man die Tat an Martha Tabram bereits als bestialisch bezeichnet, dann müsste man hierfür nach einem Wort suchen, das eine deutliche Steigerung ausdrückt. Dieses Verbrechen würde sogar ich als erstaunlich brutal bezeichnen.«
Er machte eine bedeutungsvolle Pause, um die Aufmerksamkeit, mit der die Erben nun an seinen Lippen hingen, zu genießen.
» Gordon, fahr bitte fort– möglichst, ohne deinen Bericht als Theaterstück zu inszenieren«, forderte ihn Lady Margaret auf.
» Das wäre es aber durchaus wert«, versicherte Gordon. » Solch ein Verbrechen gab es meines Wissens schon lange nicht mehr.« Doch da er sah, wie Lady Margaret ärgerlich die Stirn runzelte, beeilte er sich, mit den Fakten fortzufahren.
» Ich fange mit Mary Anne Nichols– wie der Name des Opfers lautet– letzten Stunden an, wie sie
Weitere Kostenlose Bücher