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Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Mädchen ihn hatten sagen hören, von allen Seiten beleuchtet. Er hatte Linda ein Kompliment über ihr neues Kleid gemacht– behauptete sie zumindest– und Charlotte das Buch aufgehoben, das sie absichtlich hatte fallen lassen. Die Mädchen schlugen die Hände in affigen Gesten vor den Mund und verdrehten schmachtend die Augen.
    Ich halte das keine Minute länger aus, dachte Latona gequält. Wenn sie nicht sofort mit dem Getue aufhören, verpasse ich einer von ihnen heute noch eine Ohrfeige.
    Ihre Hände krampften sich um ihr Strickzeug, an dem sie seit einer Woche keine Masche weitergekommen war. Sie hasste diese Weiberarbeiten, doch sie hatte schon früh herausgefunden, dass ständig an einem herumgenörgelt wurde, wenn man am Abend nicht zumindest den Anschein gab, sich mit etwas in den Augen von Miss Underhill Sinnvollem zu beschäftigen. So zog sich Latona meist auf den Sessel zurück, der am weitesten vom Feuer entfernt war– den kältesten Platz im Salon, den keines der Mädchen haben wollte– und tat so, als würde sie stricken. So konnte sie wenigstens ungestört ihren Gedanken nachhängen, wenn diese Hühner nicht zu laut gackerten!
    Heute allerdings waren sie so unerträglich, dass es Latona nicht gelang, die Flut der nichtigen Worte aus ihrem Geist zu verbannen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
    Es war genug! Endgültig genug. Keinen einzigen Tag würde sie länger in diesem Gefängnis bleiben.
    Ivys Brief schien in ihrer Tasche zu glühen. Es war ihr, als würden die Worte in brennender Schrift aufleuchten, um sie zu erinnern, was die Lycana ihr geschrieben hatte. Befohlen, dachte Latona grimmig.
    Nein, Latona brauchte keine Erinnerung. Ihr stand jedes Wort klar und deutlich vor Augen, doch sie weigerte sich, noch länger zu gehorchen. Wer war diese Vampirin, die wie ein Kind aussah, überhaupt? Was für ein Recht hatte sie, Latona Befehle zu erteilen? Keine! Und doch spürte sie die Macht, die von dem zerknüllten Blatt in ihrer Tasche ausging. War das irgendein Zauber, mit dem Ivy verhinderte, dass Latona dem Ruf ihres Herzens folgen konnte? Würde dieses harmlos aussehende Stück Papier ihren Geist immer weiter lähmen, bis sie irgendwann vergaß und sich vielleicht nicht einmal mehr erinnern konnte, woher der Schmerz und die Leere in ihrem Herzen rührten?
    Jähes Entsetzen ergriff Latona, sodass sie aufsprang. Ohne die fragenden Blicke überhaupt zu bemerken, stürmte sie zum Kamin und warf den Brief in die Flammen. Mit einem Gefühl der Befriedigung sah sie, wie Ivys Brief zu Asche zerfiel.
    Latona hatte es geschafft. Sie hatte sich von dem lähmenden Zauber befreit, den die Lycana über sie geworfen hatte. Oder war es doch nur ein einfacher Brief mit einem wohlgemeinten Rat gewesen? Egal. Jedenfalls gab es nun nichts und niemanden mehr, der sie zurückhalten würde.
    » Zu Bett! Ja, ich meine auch Sie, Miss Latona!«
    Sie fuhr herum und starrte Miss Underhill verwirrt an. Wie lange war sie hier am Kamin gestanden, versunken in ihre Pläne und taub für ihre Umgebung?
    Als sie sich umsah, bemerkte sie, dass nicht nur die Gespräche über das neue Objekt mädchenhafter Träume verstummt waren. Die meisten hatten ihre Handarbeiten bereits eingepackt und verließen den Salon, um sich für die Nacht zu richten.
    » Ist Ihnen nicht gut, Miss Latona?« Die Erzieherin trat näher und zog die Brauen zusammen, wie immer, wenn sie versuchte, ihre zunehmende Weitsichtigkeit zu besiegen. » Es scheint mir ein seltsam fiebriger Glanz in Ihren Augen zu liegen. Lassen Sie mich Ihre Stirn fühlen.«
    Latona wich zurück. » Nein, es ist alles in Ordnung, danke. Das ist nur das Kaminfeuer. Und ich bin ein bisschen müde. Ich gehe sofort zu Bett.«
    Sie floh aus dem Zimmer, ehe die Erzieherin sie zur Krankenschwester schicken konnte. Womöglich würde die sie über Nacht zur Beobachtung dabehalten. Nein, Latona würde sich nicht länger aufhalten lassen. Noch heute Nacht würde sie fliehen und nach London reisen. Noch heute Nacht würde sie sich auf die Suche nach Malcolm begeben!
    Ihr Herz klopfte in einem unruhigen Rhythmus, während sie sich um eine gleichmütige Miene bemühte, sich auskleidete und zu Bett begab.
    Noch heute Nacht. Und nichts und niemand würde sie dieses Mal zurückhalten!

Malcolms Nachricht
    Gegen Mittag erreichte Latona die Kensington Gardens. Sie war müde und durchfroren, doch als sie den Park betrat, durchströmte sie neue Energie. Sie fühlte ein Prickeln, das ihren ganzen

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