Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
auf die Stelle starrte, wo Ivy eben noch um ihr Leben gekämpft hatte. Der Werwolf hob den Blick, bis er mit dem des jungen Vampirs verschmolz. Ihre Schritte wogen schwer, als sie zögernd näher traten. Schweigend starrten sie auf das Häufchen Asche herab, dass alles war, was von Ivy und dem großen Vater der Vampire geblieben war.
Nein, nicht ganz. Tammo ließ sich in die Hocke sinken. Mit spitzen Fingern zog er den Ring aus der Asche, der noch vor wenigen Augenblicken an Draculas Finger gesteckt hatte. Er betrachtete den Drachen, der sich im Rund ringelte und ihn aus schimmernden Augen zu betrachten schien.
Da ist noch etwas, bemerkte Seymour.
Tammo wischte vorsichtig die Asche weg, bis neben einem dünnen Kettchen und ein paar Kristallscherben ein zweiter Ring zum Vorschein kam. Es war der gleiche Drache wie der erste, der ebenso seine Schnauze auf seinen Schwanz gelegt einen Ring formte und die beiden aus starren Augen ansah. Doch dieser Reif war kleiner. Für den zarten Finger einer Dreizehnjährigen geformt.
Lange verharrten die beiden vor dem Haufen aus Asche und Erde. Keiner von ihnen sagte etwas. Es gab nichts mehr zu sagen. Sie hatten Dracula besiegt, doch um welchen Preis? Sie hatten Ivy für immer verloren.
Schließlich erhob sich Tammo. » Möchtest du ihn?«, fragte er und streckte Seymour den Echsenring entgegen.
Das Fell des Werwolfs sträubte sich, und er wich zurück. Nein! Das Unglück nahm von dem Tag an seinen Lauf, als Ivy diesen Ring annahm und ihn an ihren Finger steckte! Ich will nichts, was mich an Dracula erinnert!
Seymour stieß einen klagenden Laut aus. Dann rannte er mit großen Sprüngen davon. Er verließ die Templerkirche und verschwand über den Hof. Tammo sah ihm nach. Dann steckte er die beiden Echsenringe in die Tasche und wandte sich ab. Der Hof lag nun im Sonnenlicht, doch hier drinnen würde er den Tag sicher überdauern können. Tammo verließ das Rundschiff und schritt durch den Chorraum auf den Altar zu. Vor dem Grab blieb er stehen und blickte in den offenen Sarg herab, in dem vor wenigen Stunden noch Erzsébets wunderschöner Körper gelegen hatte. Auch er war verschwunden. Nur ein Häufchen Staub war von ihr geblieben. Nein, nun konnte keine Macht der Welt die Mutter aller Clans mehr zurückbringen.
Sie nicht und auch nicht Ivy.
Tammo schloss behutsam den Sargdeckel und ließ sich am Kopfende der Gruft auf dem Boden nieder. So verbrachte er den Tag im Gedenken an jene, die für immer verloren waren, bis die Sonne wieder versank und alle Vampire zu einer neuen Nacht erwachten.
*
Draußen im Hof standen Bram Stoker und Latona unter der strahlenden Morgensonne. Er hielt ihre Hände fest in den seinen und sah ihr in die Augen. Latona hielt seinem Blick stand.
» Ich wünschte, ich könnte dich umstimmen«, sagte er traurig.
» Es ist mein Leben«, erwiderte Latona leise.
Bram nickte. » Ja, ich weiß. Ich habe nicht das Recht, mich einzumischen, und dennoch bist du mir als mein Mündel so ans Herz gewachsen, dass ich dich nicht gerne ziehen lasse.«
Latona lächelte ihn an. » Es ist das Los aller Väter, ihre Töchter ziehen zu lassen. Rede dir ein, Malcolm wäre ein ganz normaler junger Mann, dem ich in seine Heimat folge, wenn es dir so leichter fällt.«
Bram erwiderte ihr Lächeln, auch wenn es ein wenig gequält wirkte. Er zog Latona in seine Arme und küsste ihre Stirn. » Dann wünsche ich dir alles Glück der Welt und dass du deinen Entschluss niemals bereuen musst.«
» Ja, das wünsche ich mir auch.«
Als Bram sie losließ und zurücktrat, näherte sich van Helsing, der die Szene mit einigem Abstand beobachtet hatte. Auch er umarmte Latona zum Abschied.
» Sie sind eine mutige junge Dame. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder und Sie berichten mir von Ihren Erfahrungen? Es würde mich interessieren!«
Latona schmunzelte. » Hätten Sie keine Angst, ausgesaugt zu werden?«
Van Helsing hob die Brauen. » Aber nicht doch. Ich bin ein gefürchteter Vampirjäger, schon vergessen?«
» Nein, ich werde es im Gedächtnis behalten«, gab Latona zurück und reichte ihm noch einmal die Hand. Dann schlang sie die Arme um Bram.
» Es wird Zeit für euch zu gehen«, sagte sie mit gepresster Stimme. » Ich danke dir für alles Bram und werde es niemals vergessen. Bis in alle Ewigkeit.«
Und damit wandte sie sich um und lief über den sonnenbeschienenen Hof davon.
Das Ritual
Am nächsten Abend versammelten sich die Erben wie gewohnt in der Middle
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