Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
unmittelbar nach ihrer Wandlung bist du nach Transsilvanien geeilt, um Ivy zu befreien, statt an Clarissas Seite zu bleiben und ihr in ihrer ersten, schweren Zeit beizustehen.«
Luciano stemmte zunehmend erbost die Hände in die Hüften. » Na, ich hätte nicht hören wollen, was du und Leo dazu gesagt hättet, wenn ich in Wien geblieben wäre, um Clarissas Händchen zu halten. Es war doch so schon richtig knapp. Wir können von Glück sagen, dass wir mit Ivy unversehrt entkommen sind.«
Alisa wiegte den Kopf hin und her. » Das ist aber nicht die Frage. Nicht aus Clarissas Sicht.«
» Ich habe es ihr erklärt und sie hat gesagt, sie versteht das und findet es in Ordnung, dass ich bei Ivys Befreiung dabei war.«
» Das schließt aber nicht ein, dass du sie so offensichtlich vermisst!«, gab Alisa zu bedenken. » Du musst einfach ein wenig vorsichtiger damit sein, was du sagst, und auf ihre Gefühle Rücksicht nehmen.«
» Warum sind Vampirinnen nur so kompliziert?«, grollte Luciano. » Manches Mal frage ich mich, ob es richtig war, sie zu wandeln.«
» Was?«, rief Alisa entsetzt. » Ist das dein Ernst? Und was ist aus all deinen Schwüren geworden, Clarissa bis in alle Ewigkeit zu lieben und für sie da zu sein?«
» Ich liebe sie ja noch. Aber könnte sie es mir nicht ein wenig einfacher machen?«
Das Eintreten eines großen, kräftigen Vampirs mit halblangem blondem Haar unterbrach ihre Unterhaltung. Ihm folgten Lady Margaret und drei weitere Vyrad, deren Haar bereits ergraut war und die vermutlich zu den Altehrwürdigen gehörten. Die meisten Erben wussten bereits, dass der Blonde Lord Milton war, und für alle anderen war es sicher keine Überraschung, als er sich ihnen vorstellte. Er strahlte so viel Würde aus, gepaart mit Erfahrung und Wissen, dass Alisa ihm all ihre Aufmerksamkeit schenkte. Das war etwas anderes als der dicke, verfressene Conte in Rom mit seinen geradezu lächerlichen grellbunten Gewändern oder die grobschlächtigen Seigneurs in Paris, die vermutlich noch nie ein Buch gelesen oder einer Opernaufführung beigewohnt hatten. Und dann die arroganten Geschwister Baron Maximilian und Baronesse Antonia, die nichts Besseres zu tun gehabt hatten, als die Erben von ihrem Wissen fernzuhalten und als krönenden Abschluss Ivy an Dracula ausgeliefert hatten!
Nein, wenn einer der fremden Clanführer Alisa bisher beeindruckt hatte, dann war es die schöne Lycana Catriona gewesen, die eigentlich eine Unreine war und daher im Hintergrund die Geschicke des Clans lenkte. Offiziell war Donnchadh der Führer der Lycana.
Nun verfolgte Alisa Lord Milton mit bewunderndem Blick. Sie würde diesen Vampir vielleicht als gut aussehend, nicht aber als schön bezeichnen. Dafür waren seine Züge zu markant, sein Körperbau ein wenig zu kräftig. Er sah wie ein englischer Landadeliger aus, der es gewohnt war, selbst mit anzupacken. Was sie allerdings in seiner Miene und den grauen Augen zu lesen glaubte, begeisterte sie. Er war intelligent und von rascher Auffassungsgabe, wobei ihm sein nahezu unerschöpfliches Gedächtnis zu Hilfe kam. Er war belesen und hatte Sinn für Gerechtigkeit. Dennoch war er streng und unnachgiebig, wenn er etwas zu erreichen suchte. Das waren vielversprechende Voraussetzungen für das neue Akademiejahr, und plötzlich kehrte Alisas Vorfreude zurück.
Was du alles aus einem Gesicht und einem Blick herauslesen kannst, erklang unvermittelt Leos Stimme in ihrem Kopf. Alisa zuckte zusammen. Ehe sie über seine Worte oder sein unerlaubtes Eindringen in ihren Geist nachdenken konnte, warf sie den Dracas rüde hinaus und zog eilig ihren Schutzwall hoch, den sie offensichtlich schon wieder vernachlässigt hatte. Erst als sie sich ganz sicher fühlte, wagte sie einen kurzen Blick zu ihm hinüber. Seine Miene war unbeweglich, der Blick starr. Rasch wandte sich Alisa wieder ab. Seine Stimme hatte zwar nicht eisig, aber auch nicht besonders freundlich geklungen. Immerhin hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht, sich mit Alisa und ihren Gedanken zu befassen. Also– Nein, sie wollte die Hoffnung nicht zu wilde Blüten treiben lassen, zu sehr fürchtete sie sich vor dem Schmerz der nächsten Enttäuschung. So schob sie den Gedanken an Leo energisch beiseite und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Vyrad, die den Saal inzwischen durchquert hatten und an dem quer gestellten Eichentisch Platz nahmen. Nur Lord Milton blieb stehen und ließ den Blick schweifen. Augenblicklich brachen die
Weitere Kostenlose Bücher