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Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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waren Töchter des Landadels der Umgebung und in jüngster Zeit auch zunehmend die des aufstrebenden Londoner Bürgertums. Ihre Väter waren Bankiers in der Londoner City, arbeiteten an der Börse, im Fernhandel mit den Kolonien oder waren Besitzer von Warenhäusern, die alles boten, was ein Frauenherz begehren konnte.
    Wenn man denn in London lebte und Gelegenheit hatte, dort einzukaufen, dachte Latona erzürnt. Wobei es natürlich nicht am Fehlen solcher Zerstreuung lag, dass ihr die Zeit im Internat zur Qual wurde. Sie war es einfach nicht gewohnt, so viele lachende und gackernde Mädchen um sich zu haben, mit ihren kleinlichen Problemen und Zwistigkeiten, mit ihrem hohlen Geschwätz über Kleider und die neueste Mode sowie mit ihrem Schmachten nach dem Lächeln irgendeines Stutzers, in dessen hübsches Gesicht sie sich verliebt hatten.
    Was wussten diese albernen Gänse schon vom Leben und von der Liebe? Vermutlich war noch keine von einem Mann richtig geküsst worden, geschweige denn von einem Vampir in seiner Leidenschaft gebissen! Latonas Fingerspitzen fuhren über die beiden punktförmigen Narben an ihrem Hals, die bei jeder Berührung einen Strahl der Erinnerung durch ihren Körper schickten. Ein süßer Schmerz wie sein Biss.
    Sie war von Malcolm als die Seine gezeichnet worden, das hatte der Vamalia Hindrik in Wien behauptet. Ja, sie war die Seine, und sobald sie ihn wiedergefunden hatte, würde sie seine Welt der Nacht für immer mit ihm teilen.
    Ein eisiger Schauder rann über ihren Rücken, und sie schlang die Arme um ihren Leib, den nur ein dünnes Nachtgewand verhüllte. Doch es war nicht die Kälte der Nacht, die sie frösteln ließ. Latona fühlte sich unter all den Mädchen einsam. Über was sollte sie mit diesen naiven Dingern sprechen? Trotz all der Bildung, die man ihnen angedeihen lassen hatte, erschienen sie Latona dumm und lebensfern. Und das lag nicht nur an ihrer Begegnung mit Malcolm. Latona hatte auf ihren Reisen mit Onkel Carmelo viel gesehen. Sie kannte die trügerisch schimmernde Welt der Reichen und Adeligen, aber auch das Elend der Armen in ihrem Kampf um Arbeit und gegen den Hunger. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gab. Latona hatte die Welt in all ihrer Faszination und ihrer Grausamkeit gesehen. Und den gewaltsamen Tod des Onkels in den Katakomben unter Paris mit ansehen müssen, zwischen Millionen von Knochen und Schädeln, zusammengesammelt aus den Friedhöfen von Paris.
    Sollte sie den Mädchen etwa davon erzählen? Latona schnaubte abfällig. Sie würden nicht einmal begreifen, wovon sie sprach, oder ihr einfach nicht glauben. So saß sie meist abseits und las, von den anderen längst als seltsame Exotin abgestempelt und von misstrauischen Blicken oder unterdrücktem Gekicher verfolgt.
    Erst am späten Abend, zu einer Zeit, da die Mädchen längst in ihren Betten liegen sollten, kehrte Ruhe in dem altehrwürdigen Gebäude ein und Latona konnte endlich freier atmen. Während ihr Blick über das vom Mondlicht beschienene Gelände strich, wanderten ihre Gedanken nach London zurück.
    Es war September geworden. Bald würden sich die Blätter der Bäume färben und der Wind bauchige Wolken vom Meer her über das Land treiben. Der Regen würde für einige Wochen den Kohlestaub von Hunderttausenden von Kaminen aus der Londoner Luft waschen, sodass das Atmen für eine Weile angenehmer wurde. Dann würden die Herbststürme durch die Gassen heulen und im November, wenn der Wind plötzlich nachließ, der Nebel aus allen Ritzen kriechen. Vor allem aus den Tiefen der Abwasserkanäle und Röhren, in die man die kleinen Flüsse und Bäche, die einst offen durch London geflossen waren, verbannt hatte. Der Londoner Nebel konnte innerhalb weniger Augenblicke zu einer undurchdringlich wogenden Masse werden, in der man kaum zwei Schritte weit sehen konnte. Mal war er nur grau, dann wieder gelblich oder von giftigem Grün. Mal roch er nur nass und ein wenig modrig, dann wieder stank der Nebel bestialisch, dass man fast würgen musste. Und dennoch hätte Latona, ohne mit der Wimper zu zucken, die schlimmste neblige Nacht Londons gegen den gepflegten Klostergarten im sanften Mondlicht eingetauscht.
    » Verflucht, Bram, wie konntest du mir das antun? Ich vermisse dich«, fügte sie mit einem tiefen Seufzer hinzu. » Unsere Abende in deinem Studierzimmer, unsere Gespräche über Vampire und alles, was wir schon gemeinsam erlebt haben.«
    Aber Latona wusste auch, dass sie selbst nicht

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