Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
Nebel so plötzlich her? Richtig schmierig fühlt sich das an, und es stinkt noch schlimmer als die Themse.«
» Das kommt vom alten Turnmill Brook, dem Bach, der weiter zu seiner Mündung hin früher Fleet hieß«, erklärte Rowena.
» Von dem die Fleet Street ihren Namen hat?«, erkundigte sich Ivy.
Rowena nickte. » Genau. London wurde früher von vielen Bächen und Flüssen durchflossen, die nach und nach zu Abwasserkanälen verkamen. Der Turnmill Brook oder Fleet hat in der früheren Geschichte der Stadt schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Das Flüsschen war die Grenze zwischen Westminster und der City of London und immer ein Teil der Verteidigungsanlagen der Stadt. Während des Bürgerkriegs im siebzehnten Jahrhundert, nachdem König Charles I. geköpft worden war und Oliver Cromwell die Macht an sich riss, schütteten die Bürger zu beiden Seiten Erdwälle zur Verteidigung ihrer Stadt auf. Doch später war der Fluss nur noch eine stinkende Kloake, der um die Mauern des Gefängnisses in Clerkenwell floss und dann um den Saffron Hill– auch heute noch ein Ort des schlimmsten Elends–, um dann der Turnmill Street zu folgen. Ja, der Fluss hat viel Schlimmes gesehen und nicht nur Unrat mit sich geschwemmt, um ihn der Themse zuzuführen. In der Chick Lane , einem Tummelplatz von Mördern und anderem Abschaum, landete so manches Opfer im stinkenden Wasser, ehe es die Mauern eines zweiten Gefängnisses umfloss, in dem Gefangene wie Fliegen starben. Man sagte, sie starben am Gestank des Fleets, und so falsch war die Vermutung gar nicht, wenn man den heutigen Wissenschaftlern Glauben schenken kann. Wobei es genau genommen nicht der Gestank selbst war, wohl aber das schmutzige Wasser, das die Krankheitserreger mit sich führte. So wütete die Pest im sechzehnten Jahrhundert in den Gassen der vom Fleetwasser ständig überfluteten Senke am heftigsten.«
» Aber hier ist doch gar kein Fluss mehr«, meinte Luciano und deutete die neblige Gasse hinunter. » Hier nicht und genauso wenig in der Fleet Street.«
Ivy widersprach. » Das Wasser ist noch hier, ich kann es spüren und wir alle riechen seine Ausdünstungen, nicht wahr? Nur ist der Nebel alles, was wir noch von ihm sehen!« Sie sah Rowena an.
» Genau, man hat die Flüsse kanalisiert, unter den Straßen weitergeführt und leitet allen möglichen Unrat dort hinein. Aus diesen unterirdischen Abwassertunneln steigt nun der Nebel auf. Und nicht nur das. Immer wieder bringen sich die alten Flüsse unliebsam ins Gedächtnis zurück, wenn sie bei Hochwasser plötzlich aus ihren Rinnen quellen und Keller und Gassen mit ihrer braunen Brühe überspülen.«
Rasch gingen sie weiter und verließen die Gasse, deren giftige Nebelschwaden nun rasch höher stiegen und die Sicht trübten.
Rowena führte die Erben weiter, und bald gelangten sie an die Mauern des Gefängnisses, das schon so viele Namen getragen hatte, aber stets der gleiche, schreckliche Ort für seine Insassen blieb. Die Vampire umrundeten den Gebäudekomplex und beobachteten die Wachen am Tor.
» Und wie kommen wir da jetzt hinein, um mehr über die Fenier zu erfahren?«, sprach Luciano die Frage aller aus.
Mervyn ließ den Blick die Mauern hinaufschweifen. » Als Fledermäuse kommen wir problemlos hinüber in den Hof, und dann sehen wir weiter.«
Luciano nickte. » Ja, gute Idee.«
Zum ersten Mal ergriff Clarissa das Wort. Sie sah Luciano mit einer Mischung aus Bewunderung und Entsetzen an.
» Du kannst dich in eine Fledermaus verwandeln?«
» Äh, ja«, gab Luciano etwas verlegen zu. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Begleiterin nicht über solche Fähigkeiten verfügte.
» Ich kann so etwas nicht, oder etwa doch?«, setzte sie nach.
» Nein, du bist eine Nosferas.«
Sie blickte ihn verwirrt an. Das war natürlich keine Erklärung. Schließlich gehörte er auch zu diesem Clan.
» Die Wandlung in Tiere ist eine Fähigkeit, die die Lycana über Jahrhunderte entwickelt und perfektioniert haben. Wir anderen Clans können so etwas eigentlich nicht. Wir haben andere magische Talente. Dafür wurde die Akademie gegründet. Damit die Clans sich austauschen und ihre Erben von allen lernen. Im zweiten Jahr waren wir gemeinsam bei Ivy und Mervyn in Irland und die Lycana haben uns gelehrt, Tiere zu rufen, zu lenken und uns in sie zu verwandeln.«
» Dann könnt ihr das alle? Auch Ivy, obwohl sie eine Unreine ist?« Clarissa blickte in die Runde.
Luciano nickte betreten. » Ja, aber weißt du,
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