Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
genügend konzentrieren können. Luciano ließ sich auf den Boden sinken und verkündete, den Sarg Sarg sein zu lassen und den Tag im Weinkeller zu überdauern. Karl Philipp gab ebenfalls auf. Nur Mervyn war offensichtlich wild entschlossen, Rowena zu folgen, und er schaffte es auch, wofür er mit einem Kuss belohnt wurde. Das war das Letzte, was Luciano sah, ehe er in die Finsternis hinüberglitt und sein Körper sich versteifte.
*
Die Mitglieder von Malcolms Gruppe hatten im Salon Platz genommen und sahen ihn erwartungsvoll an.
» Wie wollen wir beginnen?«, drängte Alisa, die es nicht abwarten konnte.
Malcolm hob die Schultern. » Ich weiß nicht so recht, wie ich euch das beibringen könnte.«
» Na, prima«, schimpfte Tammo. » Also sitzen wir jetzt hier herum, starren uns an und warten darauf, dass wir bei Sonnenaufgang leblos von unseren Stühlen fallen. Ein echt guter Plan.«
» Etwas selbst können und es anderen beibringen, sind eben zwei Paar Stiefel«, verteidigte sich Malcolm.
Die Tür ging auf und die kindliche Gestalt von Vincent trat in den Salon. Er kletterte auf einen Stuhl neben der kalten Feuerstelle und ließ die Beine baumeln. Fragend wandte sich Malcolm dem Servienten zu.
» Lass dich nicht stören. Ich bin nur neugierig und möchte ein wenig zusehen, wie du deine Schulung gestaltest.«
Malcolm schenkte Vincent eine klägliche Grimasse. » Bisher gibt es nichts zu sehen. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Es ist uns Vyrad so selbstverständlich geworden. Wie kann ich das den anderen erklären?«
» Na, dann trifft es sich ja gut, dass mich Lord Milton zu euch geschickt hat«, verriet Vincent. Er sprang von seinem Stuhl und trat an den Tisch.
» Darf ich?«, fragte er höflich in Malcolms Richtung, wartete aber dessen Antwort nicht ab, sondern fing gleich damit an, den vier Erben einen Vortrag zu halten. Zuerst war Alisa eher verwirrt und fragte sich, welchen praktischen Nutzen sie aus seinen Worten ziehen konnte. Doch nach und nach wurde ihr klar, was sie tun mussten, um gegen den Drang, in ihre Starre zu fallen, angehen zu können. Zumindest in welche Richtung ihre Bemühungen gehen mussten, denn Alisa fürchtete zu Recht, dass es nicht ganz so leicht werden würde, die Anweisungen in die Tat umzusetzen, und dass es einiges an Übung bedurfte, bis sie mit einem spürbaren Erfolg rechnen konnten. Das betonte auch Vincent am Ende seiner langen Rede, bei der er heftig gestikulierend im Salon auf und ab geschritten war.
Alisa dachte wieder einmal, wie wenig dieser schmächtige Knabenkörper zu seinem brillanten Geist und seinen scharfsinnigen Formulierungen passte. Das Missverhältnis war noch krasser als bei Ivy. Vincent konnte kaum älter als zehn Jahre gewesen sein, als die Vyrad ihn zum Vampir gewandelt hatten. Was war wohl der Grund gewesen, ihn auszuwählen und nicht einfach nur sein Blut zu trinken? Sie stellte sich Vincent ein wenig wie Oliver Twist vor, den Held aus Charles Dickens’ Roman. Wobei, wenn sie Vincents Kräfte berücksichtigte, musste er natürlich viel früher gelebt haben. Außerdem wiesen seine gewählte Sprache und sein etwas geziertes Benehmen eher darauf hin, dass er der Sohn eines englischen Aristokraten gewesen sein musste.
Erst jetzt bemerkte sie, dass Vincent verstummt war, und spürte seinen durchdringenden Blick auf sich ruhen.
» Ich hielte es für sinnvoll, wenn Sie mir im Augenblick Ihre volle Aufmerksamkeit schenken würden, Fräulein Alisa, und ihre sonstigen Betrachtungen auf später verschieben! Oder interessiert es Sie etwa nicht, was ich Ihnen gerade beizubringen versuche?«
Alisa spürte, wie ihre Wangen vor Verlegenheit glühten. Wie konnte ausgerechnet ihr so etwas passieren, wo sie im Augenblick nichts mehr begehrte, als die wunderbaren neuen Fähigkeiten zu erlernen? Und da schweiften ihre Gedanken für solche Nichtigkeiten ab?
» Verzeihung. Natürlich interessiert es mich. Es wird nicht mehr vorkommen.« Sie senkte den Blick. Vincent musste ernsthaft verärgert sein, wenn er sie plötzlich mit Sie ansprach. Aber wie war es ihm möglich, ihre Gedanken zu lesen? Das war keine Fähigkeit der Vyrad, oder etwa doch? Vielleicht war ihm einfach nur aufgefallen, dass sie nicht bei der Sache war.
Vincent hüstelte, den Blick noch immer auf Alisa gerichtet. Die Vamalia straffte den Rücken und hielt seinem Blick stand.
» Gut, wenn es dann keine weiteren Fragen mehr gibt, beginnen wir mit den ersten Übungen, ehe die Sonne aufgeht
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