Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
Luciano versuchte so nah an seinen Geist heranzukommen, dass er etwas davon mitbekam, was zwischen der Vyrad und Leo passierte. Es war ein seltsames, ihm völlig unbekanntes Gefühl. Dann kam der Schmerz und ließ ihn taumeln. Sie entglitten ihm. Das Letzte, was er wahrnahm, war ein angenehmes Gefühl des Schwebens. Clarissa stieß einen Ruf der Überraschung aus und deutete auf die beiden Vampire, deren Körper durchscheinend wurden und dann zu verfließen begannen.
» Es klappt!«, meinte Luciano zufrieden und versuchte, nicht an den Schmerz zu denken, der dem angenehmen Schweben voranging. Es war ja nur für die erste Zeit, hatte die Lady gesagt.
Sie wandelten sich nicht völlig in Nebel. Man konnte noch immer die wabernden Umrisse der beiden Körper erkennen. Dann verfestigten sich die Linien wieder, die Farben wurden kräftiger. Lady Margaret ließ Leos Hände los.
» Das war sehr gut. Hast du alles verstanden?«
Der Dracas nickte. » Ja. Lady Margaret, sagt, wo genau verläuft diese starke Energiebahn, die man hier noch deutlich spüren kann?«
Lady Margaret sah ihn erstaunt an. » Sie ist nicht weit von hier, östlich der City und des Towers.«
» Sie verläuft durch Greenwich«, ergänzte Ivy. » Dort, wo das große Observatorium erbaut wurde.«
Die Vyrad nickte nachdenklich. » Genau. König Charles II ., der Sohn des im Bürgerkrieg von Oliver Cromwell enthaupteten Charles I., hat das Observatorium in Greenwich erbauen lassen. Ich weiß nicht, warum er diesen Ort wählte, aber ich vermute, dass es jemand unter seinen Beratern gab, der mehr spürte als ein normaler Mensch!«
Die Lady wandte sich Mervyn zu und wiederholte die Übung mit ihm. Es überraschte Luciano nicht, dass es dem Lycana kaum Schwierigkeiten zu bereiten schien, obwohl er ja kein Meister darin war, in den Geist eines anderen zu schlüpfen. Dafür waren Verwandlungen seit jeher eine natürliche Sache für alle Lycana.
Endlich war Luciano an der Reihe. Er spürte, wie seine Aufregung wuchs, konnte das Gefühl aber nicht unterdrücken.
» Entspann dich und konzentriere dich auf meinen Geist und meine Empfindungen«, sagte die Lady mit tiefer, ruhiger Stimme. Sie hatte einen erstaunlich festen Griff, der ihm half, seine Ruhe wiederzufinden und all seine Sinne auf die Vyrad zu richten. Die Gefühle waren nun viel stärker, als er sie bei Leo gespürt hatte– auch der Schmerz, der ihn aufkeuchen ließ.
» Lass dich los. Nein, du darfst nicht dagegen ankämpfen«, hörte er die Stimme der Vyrad wie von fern. Das war leichter gesagt als getan, doch endlich verebbte der Schmerz und löste sich in ein wundervolles Schweben auf. Wie herrlich! Er konnte geradezu spüren, wie sein Körper leichter wurde und verfloss. Doch ehe er sich ganz auflösen konnte, rief Lady Margaret ihn in seinen gewohnten Körper. Enttäuscht trat Luciano zurück.
» Das war fantastisch! So leicht und unbeschwert! Ich glaube, ich hätte es geschafft, mich ganz in Nebel aufzulösen. Es hat mich richtig hineingezogen und fühlte sich ganz leicht an.«
Die Lady bremste seine Begeisterung. » Ja, das hättest du. Doch wäre es dir auch möglich gewesen, deinen auseinanderdriftenden Körper wieder zusammenzuziehen und zu materialisieren?«
Luciano sah sie zerknirscht an. » Wahrscheinlich nicht, wenn Ihr mich so fragt.«
Lady Margaret lachte. » So ist es. Also seid vorsichtig. Geht immer nur Stück für Stück weiter, bis ihr sicher seid, dass ihr den Rückweg wirklich beherrscht. Denkt daran, wenn ihr euch erst einmal aufgelöst habt, kann euch niemand mehr bei der Hand nehmen, um euch Kraft zu geben und euch zu helfen! Und vergesst niemals, den herrschenden Luftzug zu prüfen!«
Und damit wandte sie sich um, trat durch das geschlossene Gitter und verließ den Keller. Die Erben setzten ihre Übungen mit Rowena fort. Nun, da sie wussten, worauf sie achten und wie es sich anfühlen musste, fiel es ihnen leichter, und bald konnten Franz Leopold, Luciano und Mervyn ihre Konturen verfließen und sich wieder verfestigen lassen, wenn sie Rowenas Hände hielten und sie ihren Geist führte. Sie versuchte es auch mit Karl Philipp, doch der blockierte den Zugang zu seinen Gedanken und wehrte sich innerlich, bis Rowena frustriert aufgab.
» Ich kann dir so nicht helfen. Du musst offen sein und die Energie fließen lassen. Du brauchst keine Angst zu haben. Der Schmerz ist nicht so schlimm, dass man ihn nicht aushalten könnte, und außerdem wird es mit jedem Mal
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