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Die Erben der Schöpfung

Die Erben der Schöpfung

Titel: Die Erben der Schöpfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Anderson
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für Seh-, Gehör- und Tastsinn zuständigen Areale der Großhirnrinde sind für einen Schimpansen – oder auch für einen Menschen – normal groß und liegen an den richtigen Stellen. Die Aktivierungsmuster waren unauffällig. Das Verblüffende sind allerdings die großen Felder von Großhirnrinde zwischen den sensorisch empfänglichen Bereichen. Diesen Teil des Gehirns nennt man normalerweise assoziative Felder, und davon hat dieser Knabe eine Menge. Wir müssen noch viele weitere Experimente durchführen, doch zuerst müssen wir dem kleinen Kenny beibringen, wach im Tomografen zu liegen.«
    »Wach?«
    »Ja, so schwer ist das gar nicht, das können sogar normale Schimpansen nach ein paar Wochen Training«, ergänzte Jeremy. »Es wird allerdings ziemlich anstrengend werden, denn um herauszufinden, was der Rest seines Gehirns macht, muss er im Tomografen auf Anweisung bestimmte kognitive Aufgaben ausführen. So können wir uns ansehen, wie er Entscheidungsfindung, Emotionen, Sprache und dergleichen mehr verarbeitet. Diese Bereiche lassen sich nicht testen, während er unter Narkose steht. Und ich hätte sehr gern eine Gehirnbiopsie. Es wäre hochinteressant herauszufinden, ob die Zellanatomie irgendwie verändert ist, oder die Neuronendichte zu Studieren und ein paar Tracer-Untersuchungen vorzunehmen. Wir bräuchten lediglich eine winzige Gewebeprobe. Er würde den Verlust gar nicht merken, und uns könnte es Antworten auf viele Fragen geben.«
    »Eine Biopsie? Sie wollen ihn aufschneiden? Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie wertvoll dieser Schimpanse ist.« Jamie sah förmlich vor sich, wie der Schädel des Schimpansen geöffnet wurde.
    »Halb so wild. Das machen wir bei schwierigen Diagnosen sogar bei Menschen. Es ist wirklich recht ungefährlich. Mit Mikrochirurgie kann man alles durch ein winziges Bohrloch machen, bei ganz geringem Risiko für das Objekt.«
    Jamie sah den Schimpansen an, der längst das Interesse an der wissenschaftlichen Diskussion verloren und begonnen hatte, ein paar Bücher durchzublättern. Er erwiderte ihren Blick. Ob er verstand, was sie sagten? Sie wechselte das Thema.
    »Und was wollen Sie sonst noch machen?«, fragte Jamie.
    »Das volle Programm«, antwortete Stiles. »Wir wollen wissen, wie er auf Musik, Sprache, Schmerz, Angst und Freude reagiert. Bei einem so lernfähigen und intelligenten Objekt könnten wir die nützlichsten Daten sammeln, die die Neurowissenschaften je hatten.«
    »Schmerz?«, hakte Sameer nach.
    »Ach, nur ein paar kleine Experimente, um zu sehen, ob ein Elektroschock eher im Stammhirn oder in der Hirnrinde verarbeitet wird. Nichts, was dem Schimpansen schadet«, fügte Stiles hinzu. »Ihnen ist doch klar, dass dies eine der wichtigsten Entdeckungen in der Geschichte der Naturwissenschaften ist? Wir werden hier zu Zeugen der Erschaffung einer neuen Art von Geist, und die Frage, wie sich dieser Geist verhält, könnte sich im Zusammenhang damit, wie unser eigener Geist funktioniert, als eine der provokantesten Erkenntnisse erweisen, die wir je gewonnen haben. Fragen wie die nach der Dualität von Geist und Gehirn oder dem Sitz des Bewusstseins, die früher ausschließlich von Philosophen gestellt wurden, sind auf einmal zugänglich geworden. Wie Jamie schon gesagt hat, müssen wir gründlich und akkurat arbeiten. Das alles ist von enormer Tragweite.«
    Und irgendjemand wird hinterher jeden unserer Fehltritte analysieren, dachte Jamie. »Vielleicht ist ja so etwas wie ein IQ-Test in diesem Fall gar nicht angebracht. Was die Leute wissen wollen, ist doch, ob der Affe ein fühlendes Wesen ist und nicht nur Muster erkennen kann… Empfindet er Empathie? Denkt er? Träumt er? Im Grunde brauchen wir einen richtigen Turing-Test.«
    »Einen was?«, wollte Sameer wissen.
    »Einen Turing-Test. Alan Turing war Logiker und Wissenschaftler und hat das klassische Experiment für eine künstliche Intelligenz entwickelt. Es funktioniert folgendermaßen: Stellen wir uns vor, wir hätten eine intelligente Maschine. Die einzige Möglichkeit, ihre Intelligenz zu überprüfen, besteht darin, sie im direkten Vergleich gegen ein anderes intelligentes Wesen antreten zu lassen. In dem Test, den Turing vorgeschlagen hat, werden sowohl der Maschine als auch einem Menschen Fragen gestellt, während ein Dritter anhand der Antworten entscheiden muss, wer von beiden die Maschine und wer der Mensch ist. Erkennt der Dritte den Unterschied nicht, ist die Maschine intelligent.«
    »Klar«,

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