Die Erben der Schöpfung
rasende Eifersucht oder auch ein angenehmer Tagtraum als nützlich oder hilfreich? Und oft versuchen wir Menschen doch das absolut Falsche zu tun, nur um zu opponieren – einfach um zu beweisen, dass wir das Recht oder die Fähigkeit haben, es zu tun.«
»Du meinst so etwas wie Rauchen?«
»Genau. Wir haben eine dicke, fette Trotzader in uns. Jeder Schwachsinn wird wieder und wieder ausprobiert, vor allem, wenn längst erwiesen ist, dass etwas bescheuert ist.«
»Aber nicht alle unsere Gefühle oder Impulse sind schlecht, Jamie. Wir verdanken ihnen den größten Teil unserer Kultur.«
»Findest du es nicht seltsam, dass uns jede bedeutende Religion in ihrem Streben, unsere Seelen weiterzuentwickeln, befiehlt, unsere Leidenschaften zu zügeln? In der Religion geht es um Selbstkontrolle, darum, unsere Gefühle zu beherrschen. Die höchste Spiritualität wird in der Selbstverleugnung erreicht, obwohl es ja genau diese Leidenschaften sind, die uns als menschliche, spirituelle Wesen auszeichnen.«
»Ich war eigentlich nie besonders religiös.«
»Manchmal sind die gläubigsten Menschen vermutlich sogar diejenigen, die sich zu gar keiner Religion bekennen. Als Kind, konnte ich mir nicht einmal die Schuhe zubinden, ohne der festen Überzeugung zu sein, dass mich Gott mit einem Bannstrahl niederschmettern würde, wenn ich es falsch machte. Die Kirche war in meinem Leben allgegenwärtig. Es ist ein mächtiges Gefühl, Sameer, zu glauben, dass dein Leben von einer höheren Macht bestimmt wird. Es ist ein Gefühl, das ich nie ganz abschütteln konnte, ja, ich wollte es nicht einmal. Doch als ich nach Yale gegangen bin, habe ich dort den unfassbarsten Aberglauben angetroffen. Statt Gott entscheiden zu lassen, ob sie belohnt oder bestraft werden sollten, hielten es die Studenten bei einer Prüfung für entscheidend, welchen Stift sie benutzten, wo sie gelernt hatten oder wie ihre Verabredung am Wochenende gelaufen war. Ganz egal, wie intelligent oder gebildet sie sind, die Menschen legen nie ihren Aberglauben ab. Bist du schon mal in Las Vegas gewesen?«
Sameer nickte. »Einmal.«
»Man findet kaum ein gottloseres Häufchen auf der Erde. Und trotzdem braucht man nur in irgendein x-beliebiges Casino zu marschieren, und schon sieht man eine alte Frau mit gelben Zähnen und einem Eimer voller Münzen von einem Geldspielautomaten zum nächsten marschieren und in jeden einen Vierteldollar werfen, als wäre der eine anders als der nächste. Wenn man genauer hinschaut, sieht man einen sogar noch älteren Mann dreimal an einem Automaten spielen, seinen Münzeimer schütteln und dann zwei nach rechts und drei Reihen weiter nach hinten gehen. Er wartet sogar, bis das lausige Gerät frei wird, nur um sein Programm nicht ändern zu müssen. Er weiß, dass er genau mit diesem Programm den Jackpot knacken wird.«
»Dort sind doch alle verrückt.«
»Genau wie überall anders, wo Menschen leben. Weißt du, Las Vegas steht für alles, was an einem Menschen menschlich und spirituell ist. Es bedeutet den Gipfel der Emotion und der Leidenschaft, aber in allererster Linie geht es um Flucht.«
»Jetzt kann ich dir schon wieder nicht folgen.«
»Flucht ist das gemeinsame Band innerhalb der menschlichen Gemeinschaft. Wir sind mit unserem Dasein unzufrieden, und unsere spirituelle Seite, ob man sie nun religiös nennt oder nicht, plant die Flucht in eine bessere Welt. Wenn wir den Drang zur Flucht verlieren, verlieren wir unsere geistige Gesundheit. Es ist in unserer Psyche verwurzelt. Und ich glaube, langsam verstehe ich, warum.«
Sameer schwieg.
»Gefühle sind auf Gedeih und Verderb in unseren Gehirnen verankert. Sie sind fundamental und besitzen die Endkontrolle über unser Verhalten. Das ist Teil eines Systems, das viel tiefer reicht. Der Reiz des Neuen. Denk an irgendeinen beliebigen Reiz. Ein Geräusch, das du oft hörst. Ein Bild an deiner Wand. Nachdem du es mehrmals gehört hast oder öfter daran vorbeigegangen bist, nimmst du es nicht mehr wahr. Oft können wir uns nicht an die simpelsten Einzelheiten unserer Wohnungseinrichtung erinnern. Gefühle funktionieren genauso: Sie ringen andauernd um die Oberhand, und wir nehmen das wahr, was neu, aufregend und anders ist. Ganz egal, was für einer Beschäftigung du nachgehst, fünfundneunzig Prozent davon langweilen dich schnell, und du beginnst, Glück mit den fünf Prozent deines Lebens zu assoziieren, die neu sind. Du verdienst dein Geld mit dem Ausheben von Brunnen und sehnst
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