Die Erben der Schöpfung
wollte, auf die richtigen Bäume zu klettern. Es dürfte nicht allzu schwierig sein.«
»Jedenfalls wäre es wesentlich einfacher, wenn unser Frankenstein das kleine Monster so konstruiert hätte, dass es an Höhenangst leidet«, maulte Stiles.
Paulo sah die anderen an. »Ich habe gerade überlegt, wie es wohl ankommen wird, wenn Sie hinterher Ihre Ergebnisse veröffentlichen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Stiles.
»Sehen Sie’s mal so«, sagte Paulo. »Die Menschen haben sich nicht gerade durch Toleranz hervorgetan, wenn es darum geht, den Platz im Rampenlicht zu teilen. Falls sich nun herausstellt, dass der Schimpanse als intelligentes Wesen zu gelten hat, was dann? Wird man ihm erlauben, sich zu vermehren? Hat er irgendwelche Rechte?«
»Was zwischen den vier Wänden eines Schimpansenschlafzimmers stattfindet, geht nur den Schimpansen etwas an. Da mische ich mich nicht ein«, erklärte Stiles.
»Nein, im Ernst – könnte die Menschheit eine zweite Spezies intelligenter Wesen neben sich ertragen, die ihr womöglich in vieler Hinsicht überlegen ist? Was für Folgen würde das zeitigen?«
»Keine Ahnung. Es ist erstaunlich, aber die Menschen neigen dazu, wichtige Neuigkeiten nach einiger Zeit wieder zu vergessen. Haben Sie schon mal von Oliver gehört?«
»Nein«, sagte Paulo.
»Ein unternehmungslustiger Mann hat vor fast vierzig Jahren einen besonders menschlich aussehenden Schimpansen entdeckt und ihm beigebracht, aufrecht zu gehen und Drinks zu mixen. Er nannte den Schimpansen Oliver. Nun, Oliver wanderte in Kalifornien von einem Besitzer zum nächsten wie eine Jahrmarktsattraktion. Seine große Stunde kam, als ein japanischer Fernsehsender spekulierte, Oliver sei in Wirklichkeit eine Hybridzüchtung aus Mensch und Schimpanse und habe siebenundvierzig Chromosomen, der Mittelwert zwischen Mensch und Schimpanse. Das war natürlich kompletter Blödsinn, doch Oliver wurde zu einem riesigen Medienereignis. Schließlich wurde er so berühmt, dass er in den Neunzigern in einer Fernsehshow namens ›Unsolved Mysteries‹ auftrat, die sich solchen Phänomenen widmete. Allerdings hatte danach wohl irgendjemand die Nase voll und bewies, dass Oliver in Wirklichkeit achtundvierzig Chromosomen hatte und ein ganz gewöhnlicher Schimpanse war.«
Stiles fiel hinter Paulo zurück, als sie über einen großen, von freiliegenden Wurzeln gestützten Baumstamm stiegen. »Auf jeden Fall«, fuhr er fort, »sind solche Kuriositäten bei ein oder zwei Bier ein großer Spaß, aber die allgemeine Öffentlichkeit schert sich auf Dauer nicht die Banane darum. Genauso könnte es unserem Schimpansen hier ergehen. Es wird einen gewissen Medienhype geben, ein paar Proteste, und dann werden alle die Sache vergessen, abgesehen von ein paar Wissenschaftlern. Die Wissenschaftler werden ziemlich erstaunliche Entdeckungen über das Gehirn machen, von denen auch fast niemand erfährt, bis sich nützliche Anwendungen daraus ergeben. Den Schimpansen wird es genauso ergehen wie allen anderen genmanipulierten Tieren: in kleinen Mengen für die Forschung gezüchtet, aber weder in die Wildnis entlassen, noch mit einheimischen Populationen gekreuzt.«
»Sie scheinen sich ja ziemlich sicher zu sein«, bemerkte Paulo argwöhnisch.
»Hören Sie, ich weiß doch, wie so etwas läuft. Wenn es kein Aphrodisiakum ist oder irgendjemandem Geld bringt, kümmert es die Öffentlichkeit einfach nicht. Oder zumindest nicht auf Dauer. Jamie ist da allerdings anderer Meinung.«
»Was meint sie?«, wollte Paulo sofort wissen.
»Für sie dreht sich alles um Gott. Sie glaubt, wenn wir beweisen können, dass der Schimpanse sämtliche Elemente dessen besitzt, was eine menschliche Seele ausmacht, wäre erwiesen, dass die Seele kein unsterblicher Geist ist, der in uns lebt.«
Paulo erstarrte. Warum hat sie mir das nicht gesagt?
Stiles sah ihn an, doch Paulo ging weiter.
»Sie hat nicht ganz unrecht, finde ich. Nicht, dass mir etwas daran läge. Ich glaube nicht mehr an Gott, seit ich aus den Windeln raus bin. Und ganz egal, was wir herausfinden, ignorieren garantiert die meisten die ganze Geschichte.«
»Und trotzdem sind Sie bereit, mit auf diese Suchexpedition zu kommen und den Schimpansen zu verfolgen?«, fragte Paulo.
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Dieser Schimpanse ist die erstaunlichste Kreatur, die der Mensch je erschaffen hat, und ich will ihn unter allen Umständen zurückhaben. Als Kenji ihn mir zum ersten Mal gezeigt hat, dachte ich: >Tja, Sir
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