Die Erben der Schöpfung
Ken, da haben Sie sich ja selbst übertroffen – es ist ein Affe.< Doch ich habe meine Meinung geändert. Dieser Schimpanse ist eine echte Leuchte. Er ist genauso intelligent wie Sie oder ich.«
Paulo überlegte kurz. »Sie unterschätzen das Problem«, entgegnete er. »Ich glaube, dieser Schimpanse unterscheidet sich von genetisch veränderten Tieren aus früheren Zeiten. Wenn er wirklich gefühlsbegabt ist, wird ihn die Öffentlichkeit weder vergessen, noch wird er sich ohne Weiteres in einem Labor gefangen halten lassen. Ihre momentane Lage ist der lebende Beweis dafür.«
Stiles zuckte die Achseln. »Ich hoffe sehr, dass er Beachtung findet. Die größte Gefahr, der die Menschheit je gegenüberstehen wird, sind vielleicht weder Atomwaffen noch Krankheiten, sondern überholt zu sein.«
»Überholt?«, fragte Sameer.
»Genau. Vor vierzigtausend Jahren war doch angeblich der Neandertaler der King. Kurz darauf war er ausgestorben, und zwar nicht infolge von Bomben, Kriegen oder Meteoriten, sondern wegen des Cro-Magnon-Menschen. Die Neandertaler waren einfach überholt. Damit will ich jetzt nichts Unsinniges in der Richtung sagen, dass die Schimpansen die Weltherrschaft übernehmen werden, aber dies ist lediglich ein erstes Experiment. Die nächsten könnten intelligenter, anpassungsfähiger oder einfach bösartiger sein.«
»Wenn wir etwas erschaffen, das besser ist als wir selbst, hat dieses andere Wesen es vielleicht verdient, uns abzulösen«, sinnierte Sameer. »Vielleicht hat Gott seine Schöpfung noch nicht beendet, und der Mensch hat sich einfach als Etappe in seinem Plan überlebt.«
Paulo reagierte sofort. »Das kann ich nicht glauben, und ich will auch nicht miterleben, wie der Mensch gegen ein neueres Modell ausgetauscht wird.«
Paulo ging schweigend weiter, ehe er abrupt stehen blieb und den anderen durch Gesten bedeutete, ebenfalls anzuhalten. Über den Hintergrundgeräuschen des Regenwalds erklang aus der Ferne ein schriller Schrei.
»Was ist das?«, fragte Sameer.
»Ein Jaguar. Aber keine Angst. Er würde uns nie ohne Provokation angreifen.«
»Irgendwie beruhigt mich das nicht ganz«, murmelte Stiles.
Ehe sie ihren Weg fortsetzten, fasste Sameer in seinen Rucksack und holte die Antenne heraus. Er klappte sie auf und schwenkte sie langsam hin und her. Nachdem er es ein oder zwei Minuten lang erfolglos versucht hatte, steckte er sie wieder ein und ging weiter.
Ein großer, leuchtend gelber Schmetterling schwebte an den Wanderern vorüber. »Erstaunlich«, meinte Sameer, »dass die Schmetterlinge sich in jeder Region ähneln. Irgendwo kommt dann ein Schnitt, und sie sehen alle völlig anders aus.«
Ein großes Tier huschte schnell über ihren Weg.
»War das eine Ratte?«, wollte Stiles wissen.
»Die werden hier ziemlich groß«, meinte Paulo völlig ungerührt.
»Ganz schön weit weg vom nächsten U-Bahn-Schacht. Aber hier gibt’s ja sicher auch genug zu fressen.«
»Apropos essen – ich frage mich schon die ganze Zeit, wie viele von den Pflanzen hier wohl essbar sind«, sagte Sameer.
»Meinen Sie jetzt, wie viele von ihnen gut schmecken oder wie viele einen nicht gleich umbringen?«, erkundigte sich Paulo.
»Auf jeden Fall gibt es hier eine Menge Früchte und Blumen, die mir fremd sind«, ergänzte Sameer. »Ob unsere kleinen Schimpansen wohl ein paar davon ausprobieren werden?«
»Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, aber die, die Sie jetzt gerade betrachten, ist ein zweischneidiges Schwert. Es ist eine Passionsblume. Natürlich ist sie schön, aber die Blätter enthalten Zyanide in hoher Konzentration. Angeblich soll die Pflanze wie ein Halluzinogen wirken, wenn man sie raucht.«
»Ein Horrortrip wäre so ziemlich das Letzte, was man in dieser Umgebung gebrauchen kann. Ich habe schon genug eigene Fantasien«, meinte Stiles.
»Jedenfalls würde ich nicht wahllos irgendwelche Pflanzen probieren, und ich hoffe, die Schimpansen sind schlau genug, es auch nicht zu tun. Sonst werden sie sicher bald eines Besseren belehrt«, erklärte Paulo.
»Hoffentlich nicht allzu bald«, sagte Sameer.
24
Drei Stunden nach ihrer Landung am Flüsschen wurden Ayala, Susan und Carlos fündig. Die erste Stunde waren sie allerdings komplett in die falsche Richtung gelaufen, nachdem Ayala an ihrem Landeplatz ein schwaches Signal von flussabwärts aufgefangen hatte und sie dorthin aufgebrochen waren.
Als das Signal eine Stunde später trotz strammen Marschtempos nachgelassen hatte, blieb Ayala
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