Die Erben der Schöpfung
mit dem ganzen Körper hinauf.
Ayala sah zu Susan und Carlos hinab, die durch die Zweige gerade noch wie Spielzeugfiguren zu erkennen waren. Ayala war in einer neuen Welt angekommen. In dem Licht, das durchs obere Blätterdach drang, erglänzte alles in bunten Farben. Exotische Pflanzen in jeder Schattierung wuchsen auf jeder Liane und jedem Zweig. Blumen wuchsen auf Blumen, Vogelschreie klangen durch die Wipfel, und es fehlte nur noch der Märchenriese am oberen Ende des Bohnenstängels.
Ayala befand sich auf dem mittleren der drei Stockwerke des Regenwalds. Das untere Blätterdach, wo der Großteil der Bäume fünfzehn bis fünfundzwanzig Meter hoch war, war von unten sichtbar. Die Hauptetage war die dichteste: Zu ihr zählten Bäume zwischen dreißig und vierzig Metern Höhe, deren Äste eng miteinander verflochten waren. Über Ayala erhob sich eine Schicht von Überständern, die zu vereinzelt standen, um eine durchgehende Schicht zu bilden, jedoch überwucherten sie den größten Teil der mittleren Schicht mit weitläufigen, elliptischen Astformationen. Ayala war über den größten Teil der immergrünen Bäume hinausgestiegen und stand nun auf einem dicken, tiefer gelegenen Ast des Hauptblätterdachs.
Sie band das Seil um den Ast und zog daran, um sich zu vergewissern, dass es sicher war. Dann tappte sie vorsichtig den bemoosten Ast entlang, bis zu einer Stelle, von der sie einen höheren Ast erklimmen konnte. Von dort aus drang sie ins Herz des Blätterdachs vor. Es herrschte kein Mangel an robusten Lianen, und Ayala kroch ohne Schwierigkeiten zwischen Moskitoschwärmen im Blätterdach umher, bis sie einen guten Aussichtspunkt gefunden hatte, auf dem sie sich niederließ und wartete. Aufmerksam suchte sie ihre Umgebung ab.
Ein leuchtend bunter Vogel kam von oben herabgeflogen und setzte sich auf einen Zweig ein paar Meter über Ayalas Kopf. Klar und präzise trällerte er sein Lied, ehe er kurz darauf wieder davonflatterte. Nach einiger Zeit auf ihrem Beobachtungsposten wurde Ayala schließlich belohnt. In der Ferne erklang ein leises Rascheln, gefolgt von einem zweiten, und schließlich ein unverwechselbarer Affenschrei. Ayalas Körper spannte sich an, während sie versuchte, die Quelle zu orten. Geräuschlos zog sie die Pfeilpistole aus dem Gürtel und hob sie an die Schulter.
Leise stand sie auf und ging den Ast entlang, indem sie sich von einer Liane zur nächsten hangelte. Sie kletterte eine Ebene höher und wieder eine hinunter, bis sie dem Ursprung des Geräuschs näher gekommen war. Sie sah sich um. Einen Baum weiter, etwa zwanzig Meter weit weg, sah Ayala den Schimpansen mit seinem dunklen Fell einen Ast entlangspazieren. Kurz darauf folgte ihm ein zweiter. Der zweite war kleiner und trug ein unverkennbares blaues Halsband, auf das ein Sonnenstrahl fiel, als der Affe direkt gegenüber von Ayala ins Licht trat.
Ayala sah nach unten. Es würde eine Weile dauern, bis das Ketamin wirkte. Der Schimpanse würde sich hoffentlich in stabiler Position befinden, wenn er durch das Betäubungsmittel außer Gefecht gesetzt wurde. Auf jeden Fall war das Risiko eines Absturzes zu bedenken, den der Affe wahrscheinlich nicht überleben würde. Sie legte die Pfeilpistole an. Der Affe war genau in Reichweite. Sie drückte auf den automatischen Abzug.
Der Pfeil sauste über den Kopf des Schimpansen hinweg und flog klatschend ins Laub. Rasch lud Ayala einen zweiten, doch zu langsam. Das Geräusch des fliegenden Pfeils hatte den Schimpansen bereits auf den Eindringling aufmerksam gemacht. Er bückte sich und sah direkt in Ayalas dunkelbraune Augen.
In einem Wirbel schneller Bewegungen tauchte der Affe ins dichte Laub ein, sprang von einem Ast zum anderen und holte immer wieder weit aus, um den nächsten Ast zu fassen. Binnen Sekunden war er außer Sichtweite, und Ayala konnte seine Flucht nur noch akustisch verfolgen. Es war aussichtslos, ihm in diesem Tempo auf den Fersen bleiben zu wollen.
Sie hangelte sich zu ihrem Anfangspunkt zurück, löste das Seil vom Ast und stieg erneut in die Fußsteigklemmen. Ihre Gefährten atmeten erleichtert auf, als sie kurz darauf wieder in Sichtweite kam.
»Sie sind verrückt!«, rief Susan, halb wütend und halb ehrfurchtsvoll über Ayalas Heldentat.
Ayala ließ das Seil los und hüpfte atemlos auf die Erde. »Zu schwierig«, verkündete sie. »Die Tiere sind so viel schneller als alles, was ich je zuvor verfolgt habe. Wir werden ihn auf dem Boden jagen müssen, aber dazu muss
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