Die Erben der Schwarzen Flagge
nicht von diesem Schiff entkommen. Aber ich habe Augen im Kopf, Kapitän. Ich sehe die Flagge, die dort am Großmast weht, und ich weiß, was sie bedeutet. Und ebenso weiß ich, dass mein Vater niemals gemeinsame Sache mit Piraten machen würde.«
»Selbst dann nicht, wenn das Leben seiner Tochter in Gefahr wäre?«, fragte Bricassart mit überlegenem Lächeln.
»Auch dann nicht«, antwortete Elena rascher, als ihre Überzeugung es zuließ. In den letzten Wochen hatte sie viel Zeit damit zugebracht, sich zu fragen, wie viel ihr Vater auf sich nehmen würde, um sie aus der Gewalt der Bukaniere zu befreien – war dies die Antwort? Hatte der Conde de Navarro, der stets ein Vorbild an Tugend und Charakter gewesen war, seine Werte und Überzeugungen verraten, um das Leben seiner einzigen Tochter zu retten? So sehr es Elena schmeichelte, hoffte sie, dass es nicht so war. Wer war sie denn, dass sie solche Verantwortung auf sich laden konnte? Dass ihr Vater alle Rechte und Privilegien seines Standes ihretwegen aufs Spiel setzen durfte?
Die Alternative war allerdings noch weniger erfreulich. Hatte Bricassart ihren Vater betreffend gelogen und es in Wirklichkeit nur auf Nick Flanagans Beute abgesehen, so hatte sie Schlimmes zu befürchten. Wie sie erfahren hatte, steuerte der Segler mit dem unheilvollen Namen Leviathan den Hafen von Port Royal an, der als Sündenbabel bekannt war. Was ihr dort widerfahren mochte, daran wollte Elena gar nicht denken. Sie spürte wachsende Furcht und Unruhe, die sie sich jedoch nicht anmerken ließ, am allerwenigsten vor Bricassart, der kaum älter war als sie selbst.
Der Piratenkapitän ließ sein arrogantes Gelächter vernehmen. »Ihr habt ein hohes Bild von Eurem Vater, Doña Elena«, stellte er fest. »Möglicherweise hält das Original diesem Bild nicht stand.«
»Und das sagt mir jemand, der unter schwarzer Flagge segelt?«, fragte Elena und gab sich Mühe, dass ihre Stimme dabei nicht weniger spöttisch klang. »Jemand wie Ihr, Bricassart, dürfte kaum in der Lage sein, über Moral und Anstand anderer Menschen zu befinden – am allerwenigsten im Fall meines Vaters.«
»Wie Ihr meint. Aber wundert es Euch nicht, dass Ihr Euch an Bord frei bewegen dürft? Wärt Ihr meine Gefangene …«
»Die See ist mein Gefängnis, Kapitän«, erwiderte Elena gefasst. »Anderer Mauern als dieser bedarf es nicht.«
»Da mögt Ihr Recht haben. Dennoch sollt Ihr Euch nicht als meine Gefangene betrachten, sondern als mein Gast an Bord der Leviathan – jedenfalls so lange, bis wir in Port Royal von Bord gehen und Ihr Euren Vater wieder in Eure Arme schließen könnt.«
Er war neben sie getreten, griff nach dem seidenen Schal, den sie um den Hals geschlungen hatte und dessen Enden in der frischen Brise wehten. Bricassart schloss die Augen und roch daran; ein wohliger Schauer schien ihn dabei zu durchrieseln.
»Was soll das?«, fragte Elena gereizt.
»Wie war es in Flanagans Gefangenschaft, Doña Elena?«, erkundigte sich Damian.
»Was meint Ihr?«
»Ihr wisst, was ich meine. Ihr seid eine schöne Frau, und er mag ein ungeschickter Pirat gewesen sein, aber er war auch ein Mann.«
»Und?«
»Ihr sagtet, dass Euch in seiner Gewalt kein Haar gekrümmt worden sei …«
»Das ist richtig.«
» Alors, aus Erfahrung darf ich Euch versichern, dass gewöhnlich mit gefangenen Frauen nicht so verfahren wird. Also frage ich mich, wie hoch der Preis war, den Ihr für diese bevorzugte Behandlung zu entrichten hattet.«
Für einen Augenblick stand Elena reglos da. Dann holte sie aus und versetzte Bricassart eine schallende Ohrfeige. »Nehmt das«, sagte sie dazu. »Nick Flanagan mag ein Pirat gewesen sein, aber er war auch ein Ehrenmann im Gegensatz zu Euch. GlaubtIhr, ich bemerkte nicht das lüsterne Blitzen in Euren Augen? Den fiebrigen Blick, mit dem Ihr mich anstarrt?«
»Ihr seid ein schönes Weib«, entgegnete der Pirat mit unverschämtem Grinsen. »Was erwartet Ihr von mir?«
»Ihr sagt, Ihr wärt mein Befreier und würdet im Auftrag meines Vaters handeln – dann benehmt Euch auch danach. Oder aber, Ihr und Eure Leute seid nichts weiter als eine Bande gemeiner Diebe und Mörder.«
»Seid vorsichtig, Doña Elena. Ihr wählt Worte, die Euch leicht das Verderben bringen könnten.«
»Ihr droht mir? Ihr, mein angeblicher Befreier? Zeigt Ihr nun endlich Euer wahres Gesicht?«
Bricassart betrachtete sie prüfend, bis sich seine blassen Züge zu einem überlegenen Lächeln entspannten. »Ihr seid
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