Die Erben der Schwarzen Flagge
Elena«, redete der Conde ihr zu. »Es hat keinen Zweck, sich zu sträuben. Füge dich in dein Schicksal, so wie ich es getan habe, oder sie werden dich zerstören. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
»Und das sagst ausgerechnet du? Der mir beigebracht hat, dass man kein Unrecht widerspruchslos hinnehmen soll? Dass man für seine Ehre und seinen Stand eintreten soll? Vater, was ist nurin dich gefahren? Du bist mir fremd und unheimlich, ich erkenne dich nicht wieder.«
Elenas Stimme war zu einem Flüstern geworden. Flehend blickte sie ihren Vater an, aber auch die Verzweiflung seiner Tochter konnte den Conde nicht aus seiner Lethargie reißen. Seine sonst so energische Miene zeigte keinerlei Regung, und sein Blick schien geradewegs durch Elena hindurchzugehen, als er sagte: »Für mich gibt es keine Rettung mehr, meine Tochter. Aber du kannst dich retten, indem du tust, was sie von dir verlangen. Heirate Damian, und es wird dir an nichts fehlen, ich verspreche es dir.«
»Du versprichst es mir?«
Als Elena merkte, dass sie von ihrem Vater keine Hilfe zu erwarten hatte, wurden ihre Züge zur eisernen Maske, und sie wich auch vor ihm zurück. Sie konnte sich nicht erklären, wie sich der Mann, den sie über alles in der Welt geliebt hatte, in ein herzloses Scheusal verwandelt hatte. Aber nichts anderes war aus Carlos de Navarro geworden – ein grausames Monstrum, das sich mit anderen Ungeheuern verbündet hatte, um seiner Gier nach Gold und Macht zu frönen, und dafür vor keiner Untat zurückschreckte. Nicht einmal davor, seine eigene Tochter als Mittel zum Zweck zu missbrauchen und einem Piraten und Mörder in die Ehe zu geben. Schaudernd gestand Elena sich ein, dass alles, was Nick Flanagan über ihren Vater gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Carlos de Navarro war nicht der gütige und weise Mann, für den sie ihn ein Leben lang gehalten hatte. Seine Gier und seine Verschlagenheit überwogen bei weitem. Er hatte nicht davor zurückgeschreckt, seinen Stand, seine Familie und sein Land zu verraten – und nun hatte er auch noch die eigene Tochter seinen Plänen geopfert.
Elena konnte nicht anders, als ihn aus tiefster Seele zuverabscheuen, aber die Empfindung kam zu spät. Nick Flanagan war tot, und es gab niemanden, der für sie Partei ergriff und sie vor dem Schicksal bewahrte, das ihr drohte. Aber Nick hatte ihr auch gezeigt, dass man sich niemals in sein Schicksal zu ergeben brauchte und dass es Dinge gab, die schlimmer waren als der Tod.
Trotz der Furcht, die sie ergriff, hob Elena stolz das Haupt und straffte ihre zierliche Gestalt.
»Nun gut«, sagte sie so laut, dass alle im Saal sie hören konnten, »du willst also, dass ich diesen Mann dort heirate – einen Dieb und Mörder der ruchlosesten Sorte. Was für eine Tochter Spaniens wäre ich, wenn ich deiner Weisung gehorchen würde, Vater? Ich weiß nicht, was aus dir geworden ist, aber der Conde de Navarro, den ich einst kannte und liebte, hat mir beigebracht, meine Ehre und meinen Namen rein zu halten. Deshalb verweigere ich mich deinem Ansinnen, das dreist und ungerecht ist. Ich werde Damian Bricassart nicht heiraten, und wenn ich mit dem Tod dafür bezahlen muss.«
»Nein, Elena!« Zum ersten Mal glaubte Elena, eine Gefühlsregung bei ihrem Vater zu erkennen. »Tu das nicht! Sie werden dich …«
»Lasst es gut sein, werter Conde«, fiel der alte Bricassart ihm ins Wort. »Es ist schön zu sehen, dass Spaniens Feuer noch nicht ganz erloschen ist. Aber so sehr du dich auch sträuben magst, mein Kind – du wirst deinem Schicksal nicht entgehen. Es steht mir ein geeignetes Mittel zur Verfügung, um rebellische Geister gefügig zu machen.«
»Nein, Meister!«, rief Navarro und fiel zu Elenas Entsetzen vor dem Piraten auf die Knie. »Tut das nicht, ich bitte Euch.«
Aber Bricassart lachte nur.
4.
Britische Besitzung Cigateo
27. Mai 1692
N icolas Graydon. Nicolas Graydon …«
Der Mann, der an der Stirnseite des schmalen Raumes am Tisch saß, wiederholte den Namen immer wieder, als wolle er ihn sich auf der Zunge zergehen lassen wie einen Schluck guten Scotch. Seine Stirn hatte der Offizier, der eine weiß gepuderte Perücke trug und den Rock der britischen Admiralität, in tiefe Falten gelegt, und die strengen, asketischen Züge hatten einen seltsamen Ausdruck angenommen.
»Ihr behauptet also, der seit zwei Jahrzehnten verschollene Sohn Lord Cliffords zu sein?«, erkundigte er sich noch einmal.
»So ist es, Sir«, bestätigte
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