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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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zu amputieren. Gegen den Skorbut war er machtlos, und es zeichnete sich ab, dass für den alten Angus die Zeit auf Erden zu Ende gehen würde. Einerseits erfüllte dieser Gedanke Nick mit Trauer; andererseits beneidete er seinen Vater fast darum, dass die Schmach des Sklavendaseins für ihn ein Ende hatte.
    Der Tag, der alles verändern sollte, kündigte sich mit einem schwarzgrauen Wolkenband im Osten an, das die Strahlen der Morgensonne nicht durchdrangen. Dafür wurde der Himmel in blutrotes Licht getaucht, gegen das sich bizarre Wolkenformen abzeichneten. Abergläubische Sklaven meinten, darin schlimme Omen zu erkennen.
    Bei aller Düsternis, die sich über sein Gemüt gebreitet hatte, glaubte Nick noch immer nicht an derlei Vorzeichen. Mehr Kopfzerbrechen bereitete ihm, dass der alte Angus an diesem Morgen seinen ersten Zahn verloren hatte. Das bedeutete, dassdie Krankheit ins letzte Stadium trat und der alte Mann bald sterben würde, wenn nichts geschah. Nick beschloss deshalb, beim Morgenappell auf dem Exerzierplatz ein Wort für seinen Vater einzulegen – auch wenn der grausame San Guijuela Gefangene schon aus weit geringeren Gründen hatte auspeitschen lassen.
    Wie jeden Morgen ließ man den Sklaven nur wenige Augenblicke, um ihre Frühstücksration zu verzehren, die einmal mehr aus dünnem Brei und verschimmeltem Brot bestand. Nick überließ seine Portion seinem Vater, ebenso wie Nobody Jim und Unquatl. Der alte Angus protestierte zwar heftig, aber Nick und seine Freunde stopften ihm das Essen förmlich in den Schlund, sodass er keine Wahl hatte.
    Dann wurde die Glocke zur Morgeninspektion geläutet, und die Sklaven mussten auf dem Exerzierplatz antreten, wobei Angus Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.
    Wie an jedem Tag schritten der Blutegel und seine Handlanger die Reihen der Sklaven ab, von denen einige in ähnlich schlechtem Zustand waren wie Nicks Vater. Die Aufseher jedoch würdigten sie keines Blickes. Wer nicht am Boden lag, der war in ihren Augen gesund genug, um zu arbeiten – und da die Sklaven nur zu genau wussten, was mit jenen geschah, die am Boden lagen, war jeder darauf bedacht, sich aufrecht zu halten.
    Keuchend und auf wackeligen Knien stand der alte Angus da. San Guijuela musterte ihn mit ungerührtem Blick und wollte schon weitergehen, als Nick, der in der Reihe als Nächster kam, ihn leise ansprach.
    »Senõr …«
    San Guijuela blieb wie vom Donner gerührt stehen.
    »Nein, Sohn«, zischte der alte Angus. »Halt den Mund. Das ist es nicht wert …«
    Aber Nick war wild entschlossen.
    Der Aufseher wandte sich ihm zu, ein Lodern in den Augen, das nichts Gutes verhieß. Der schmale Mund über dem spanischen Bart war zu einem grausamen Lächeln verzerrt. »Hast du es gerade gewagt, mich anzusprechen, Sklave?«, erkundigte sich der Blutegel lauernd.
    »Si, Senõr, dieser Mann ist sehr schwach, wie Ihr seht.«
    »Und?«
    »Ich fürchte, er kann den Weg nicht bewältigen.«
    »So, das fürchtest du also.« San Guijuela nickte in geheucheltem Verständnis, und seine Kumpane grinsten schadenfroh. »Und wer bist du, dass du darüber zu befinden hast, welcher Sklave kräftig genug ist und welcher nicht?«
    »Mein Name ist Nick Flanagan, Senõr. Dieser Mann ist mein Vater.«
    »Dein Vater also.« Der Spanier nickte wieder, während das Lodern in seinen Augen noch zunahm. »Und was soll ich deiner Ansicht nach tun, Sklave?«
    »Nun, Senõr«, antwortete Nick, »es wäre sehr großzügig von Euch, wenn Ihr meinem Vater erlauben würdet, im Lager zu bleiben, damit er sich erholen kann, bis er wieder genug bei Kräften …«
    »Genug!«, brachte ihn der Aufseher mit Donnerstimme zum Schweigen. Das Lodern in seinen Augen war zur Feuersbrunst geworden. »Seit wann haben Sklaven zu entscheiden, ob sie arbeiten können oder nicht? Ich entscheide das ganz allein, und ich sage, dass dieser alte Sack nur zu faul ist, sich zu bewegen. Hiermit«, – er hielt Nick die Peitsche entgegen –, »werde ich ihm schon Beine machen.«
    Seine Kumpane lachten schallend, und auch San Guijuela grinste, während Nick innerlich vor Zorn erbebte.
    »Du kannst von Glück sagen, dass du jung und kräftig bist, Sklave«, zischte der Aufseher. »Andernfalls würde ich dir deinen frechen Wanst aufschlitzen und dir die Gedärme herausreißen, um sie den Alligatoren zum Fraß vorzuwerfen. Hast du mich verstanden?«
    Nick erwiderte nichts.
    Die Lippen fest zusammengepresst, stand er vor dem Spanier. Die Fäuste hatte er

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