Die Erben der Schwarzen Flagge
Knochen. Und ich kann förmlich fühlen, dass ihr mir nichts als Schwierigkeiten bringt. Nach allem, was hinter uns liegt, können wir uns keinen weiteren Ärger mit den Spaniern leisten. Also müsst ihr verschwinden.«
»Nein, wir …«, setzte Nick zu einer Erwiderung an, aber der Kapitän ließ es gar nicht erst dazu kommen. Mit einem einzigen Hieb schmetterte er ihn zu Boden, und Nick fand sich auf den Planken wieder. Als er aufblickte, fühlte er den scharfen Stahl von Cutlass’ Säbel an seiner Kehle.
»Kein Wort mehr, Matey. Es ist schon zu viel geredet worden. Stopft dem Jungen und dem Nigger das Maul, und sobald wir wieder auf See sind, werft die beiden über Bord. Und jetzt macht euch verdammt noch mal wieder an die Arbeit, ihr elenden …«
»Haltet ein!«
Ein Ruf erklang vom Vordeck, und aus dem Niedergang tauchte ein ältlich aussehender Mann auf, der eine braune Mönchskutte trug. Nick war nicht wenig verblüfft – einen Geistlichen hätte er in Gesellschaft einer Piratenbande am allerwenigsten erwartet.
Die Männer machten dem Mönch, der wettergegerbte, aber angenehme Gesichtszüge hatte und dessen schütteres Haar seine Tonsur nur spärlich umkränzte, respektvoll Platz. Offenbar genoss er an Bord eine besondere Stellung. Mit einem prüfenden Blick musterte er zuerst Jim, dann den noch immer auf den Planken kauernden Nick.
»Was soll das?«, fragte er streng.
»Halt dich da raus, O’Rorke«, entgegnete Cutlass Joe schulterzuckend. »Das ist nichts für einen Pfaffen.«
»Das musst du schon mir überlassen, Sohn«, konterte der Mönch unbeeindruckt. »Wer sind diese jungen Männer, und was habt ihr mit ihnen vor?«
»Es sind entlaufene Sklaven aus Maracaibo, und ich habe vor, sie ins Meer zu werfen, wenn du es genau wissen willst. Wir können keinen Ärger mit den Spaniern mehr brauchen, wie du weißt.«
»Das ist wahr.« Der Mönch nickte. »Aber es rechtfertigt nicht den Mord an zwei wehrlosen Männern.«
»Ich hätte es mir denken können.« Cutlass Joe verzog das Gesicht. »Unseren Pater plagen Skrupel.«
»Du weißt, dass das nicht wahr ist, Joe. Ich bin nicht zimperlich, wenn es gegen unsere Feinde geht, und genau wie du werde ich mich eines Tages vor dem Allmächtigen für meine Verfehlungen verantworten müssen. Aber ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du kaltblütige Morde be…«
Plötzlich hielt der Pater inne. Während er sprach, war seinBlick auf das Medaillon gefallen, das um Nicks Hals baumelte und nun unter seinem Hemd hervorgerutscht war. Verblüfft beugte sich der Mönch hinab und wollte danach greifen – aber Nick umfasste das Schmuckstück und schob es rasch wieder unter sein Hemd.
»Keine Sorge«, versicherte der Ordensmann mit sanfter Stimme. »Ich mag hier unter Räubern sein, aber ich habe ein Armutsgelübde geleistet, und ich werde mich nicht an dir bereichern, Sohn. Ich würde es mir nur gern ansehen, wenn du erlaubst.«
Der Pater hatte etwas an sich, das Nicks Vertrauen weckte, und so zog er das Medaillon nach kurzem Zögern wieder hervor. Der Mönch betrachtete es eingehend, dabei wurden seine Augen groß und größer. Schließlich öffnete er es, und als sein Blick auf das Abbild der jungen Frau fiel, glaubte Nick, in seinen Zügen Erkennen aufflackern zu sehen.
»W-woher hast du das, Sohn?«, fragte O’Rorke mit bebender Stimme und starrem Blick.
»Von meinem Vater«, antwortete Nick wahrheitsgemäß.
»Wie ist sein Name?«
»Angus Flanagan«, erwiderte Nick. Solange er nicht wusste, woran er mit diesen Piraten war, wollte er so wenig wie möglich von sich preisgeben.
»Flanagan«, echote der Mönch, aber diesmal spiegelte sich kein Erkennen in seinen Augen. Dafür wandte er sich zu Cutlass Joe um und sagte: »Ich sehe keinen Grund, weshalb diese jungen Männer getötet werden sollten. Sie stellen keine Bedrohung für uns dar und könnten uns an Bord von Nutzen sein.«
»Vielleicht, aber ich will sie nicht hier haben«, entgegnete der Rothaarige hart. »Der Weiße stinkt vierzig Yards gegen den Wind nach Ärger, und einen Nigger möchte ich nicht unter meinem Kommando.«
»Deine Einwände sind ebenso einfältig wie töricht«, sagte Pater O’Rorke.
»Das ist deine Meinung, Pfaffe. Aber ich bin der Kapitän, und deshalb wird gemacht, was ich sage.«
»Die Mannschaft hat dich zu ihrem Kapitän gewählt, das stimmt«, räumte der Pater ein. »Aber das bedeutet nicht, dass du allein zu entscheiden hast. Du kennst die Regeln des Piratenkodex –
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