Die Erben der Schwarzen Flagge
Reichweite der Sechspfünder. Aber Cesar wollte die Piraten nicht nur einfach vertreiben – er wollte sie vernichten, wollte, dass keiner dieser Hundesöhne jemals wieder sein frevlerisches Handwerk verrichten konnte. Deshalb wartete er noch einen Augenblick länger, um sicherzugehen, dass die erste Salve tödlich war.
Dieser Augenblick wurde ihm zum Verhängnis.
Denn plötzlich hörte Cesar einen dumpfen Knall, dessen Quelle schwer auszumachen war, da die San Felipe vom Wind abgefallen war, um ihre Fahrt zu verlangsamen. Im nächsten Augenblick gab es ein lautes Krachen und Splittern, als ein undeutlicherSchatten über das Vordeck wischte und etwas mit unheimlicher Wucht in den Fockmast schlug.
Die marineros, die dort postiert waren, spritzten auseinander wie aufgescheuchtes Federvieh, verstümmelte Körper wurden durch die Luft geschleudert – und mit grässlichem Knacken barst der Mast und knickte ein, ging nieder wie ein gefällter Baum.
»No!« , rief der Capitán entsetzt, als er sah, wie der halb abgetrennte, halb noch aus dem Deck ragende Mast über Bord ging und einige Seeleute mitriss. Gischtend schlug der Mastbaum ins Meer, woraufhin die San Felipe Schlagseite bekam und von einem Augenblick zum anderen manövrierunfähig wurde.
Cesar hatte seinen Schock darüber noch nicht verwunden, als der heisere Ruf des alférez ihn erreichte. »Schiff an Backbord, Senõr Capitán! Es trägt die schwarze Flagge …!«
Wie in Trance wandte sich Cesar um, blickte nach der anderen Seite – und hatte das Gefühl, einen Albtraum zu durchleben. Denn als hebe sich ein Vorhang, lichtete sich plötzlich der Dunst, der über der fernen Küste Hispaniolas lag, und aus dem trügerischen Licht der Dämmerung tauchte ein zweites Schiff auf. Keine Schaluppe diesmal und auch keine Brigantine, sondern eine übergroße Pinasse französischer Bauart, mit Volltakelung und schwerer Bewaffnung. Die Segel an den Rahen waren schwarz wie die Nacht. Wie ein Monstrum aus grauer Vorzeit kam das Schiff aus den Nebeln und drehte bei, und im nächsten Augenblick leuchteten entlang der auf drei Decks verteilten Stückpforten grelle Lichtblitze auf, gefolgt von rollendem Donner.
Cesar war so von Entsetzen gepackt, dass er nicht in der Lage war zu reagieren. Weder warf er sich in Deckung, noch war er fähig, einen Befehl zu erteilen. Einen Herzschlag später ereilte sein Schiff jenes Verderben, das der Capitán den Piraten zugedacht hatte.
Fast gleichzeitig schlugen die Geschosse ein, durchbrachen das Schanzkleid der San Felipe und richteten auf dem Oberdeck ein wahres Blutbad an. Die Sechspfünder, Cesars ganzer Stolz, wurden von ihren hölzernen Lafetten gerissen, die Soldaten und die Stückmannschaften auf der Steuerbordseite von feindlichen Kugeln hinweggefegt. Nicht ein einziges Geschoss jedoch drang unter Deck ein – die Piraten wussten genau, welch wertvolle Fracht die San Felipe geladen hatte, und sie wollten sie keinesfalls beschädigen.
Jetzt erst dämmerte Cesar, dass er blindlings in die Falle getappt war, die die Seeräuber ihm gestellt hatten. Die Schaluppe war nur ein Köder gewesen – das Flaggschiff der Piraten hatte im Verborgenen gelauert, und während er und seine Mannschaft sich mit der Schaluppe befasst hatten, war es bis auf Schussweite herangekommen. Noch einmal feuerten die Kanonen der Pinasse, diesmal aus kurzer Distanz; der Großmast der San Felipe wurde getroffen und gab splitternd nach. Cesar und sein Stellvertreter stießen heisere Schreie aus, als sich der mächtige Mastbaum nach achtern neigte. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sahen sie das mit Segeln beschlagene Ungetüm in ihre Richtung kippen. Die Pardunen rissen, die Wanten gaben nach – und einen Herzschlag später fuhr der Hauptmast wie das Beil eines Henkers nieder.
Mit furchtbarer Wucht schlug das massige Holz achtern ein, brachte den Besanmast zu Fall und zertrümmerte das Kajütdeck. Der Steuermann wurde erschlagen, ebenso Fähnrich Alcazar.
Um Cesar wurde es plötzlich dunkel, als sich loses Segeltuch über ihn breitete, dessen schieres Gewicht ihn zu Boden riss. Inmitten des infernalischen Krachens und Berstens fand er sich wieder. In seiner Panik griff er nach dem Rapier und benutzte es dazu, sich aus dem Segel zu befreien. Panisch nach Luft ringend,zerriss er den Stoff und bahnte sich einen Weg hinaus – nur um sein einst so stolzes Schiff in Trümmern zu sehen. Das Oberdeck war zerstört und von Blut besudelt, das Achterdeck vom
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