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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Sohn«, versicherte Bricassart schließlich. »Auch ich habe gezweifelt, aber dann ist ein wahrer Gläubiger aus mir geworden. Vielleicht wird dieses Glück auch dir noch widerfahren – aber zuvor wirst du tun, was die Ratte Navarro dir aufgetragen hat, und diesen Nick Flanagan für ihn finden.«
    »Zu Befehl, Vater.« Trotz seines Widerwillens verbeugte sich Damian gehorsam. »Ich werde diesen Flanagan finden und töten – aber nicht für Navarro, sondern für dich.«
    »Nein«, widersprach Bricassart. »Wenn dieser Flanagan tatsächlich so verwegen ist, wie Navarro behauptet, so brauchen wir ihn auf unserer Seite. Nimm ihn gefangen und bring ihn hierher – wir haben die nötigen Mittel, um einen treuen Gefolgsmann aus ihm zu machen.«
    Wieder lachte der Commodore, und der Schamane zu seinen Füßen verfiel in dumpfes Gemurmel – Beschwörungen aus dunkler Vergangenheit, die den Schlangendämon riefen. Dem Commodore sollte er Sieg und Triumph eintragen – seinen Feinden das Verderben.

5.
    C ayenne war der größte Hafen Tortugas – eine Ansammlung schäbiger Häuser und Hütten, die an den schwarzgrauen Felshängen der Insel emporkrochen, umgeben vom dichten Grün der Palmen und Farne. Einige der Gebäude waren aus Lehm gebaut, andere aus den Überresten von Schiffen, die entlang der Küste gestrandet waren. Die Dächer waren mit getrockneten Palmblättern oder Stroh gedeckt. Gläserne Fenster gab es kaum; Fetzen von schmutzig braunem Segeltuch hingen vor den Öffnungen, wenn Passanten nicht sehen sollten, was im Innern vor sich ging. Aber die Geräusche, die aus den Hütten drangen, waren meist eindeutig genug.
    Nie zuvor in ihrem Leben hatte Elena de Navarro einen abstoßenderen, verwerflicheren Ort gesehen als diesen. Krumme, schmutzige Gassen, in denen sich der Unrat häufte und in denen stinkende Pfützen standen, verliefen zwischen den Hütten. Ratten tummelten sich überall, Betrunkene torkelten ziellos umher. Und in dunklen Schatten lauerten abgerissene Gestalten, Bettler und Amputierte, verwahrloste Kinder und Freudenmädchen. Die drückende Hitze über der Bucht war unerträglich, ebenso wie der Lärm, der von allen Seiten auf die Grafentochtereinstürzte: Das allgegenwärtige Gegröle der Betrunkenen und das Hämmern ihrer Fäuste auf schmutzige Tische; der schaurige Gesang von Piraten, die einen erfolgreichen Beutezug feierten, und das alberne Kichern der Frauen, die ihre Körper an sie verkauften; das Klappern der Würfelbecher und das Klirren von Münzen; und schließlich, hier und dort, das unverhohlene Stöhnen von Männern und Frauen, die sich am helllichten Tag der Unzucht hingaben.
    Nick Flanagan, der einst als Schiffsjunge auf Tortuga gewesen war und sich nur noch dunkel an den Rausch von Eindrücken erinnerte, der auf seine jungen Augen eingestürzt war, grinste breit, als er die Reaktion seiner Gefangenen auf das lärmende Durcheinander gewahrte. Missbilligend hatte Doña Elena den Mund zusammengekniffen, und ihre kleine Nase zuckte bei jedem neuen Geruch, den sie schnupperte. Hier roch es süßlich nach billigem Rum, dort verbreiteten Moder und Fäulnis Ekel erregenden Gestank, während es schon an der nächsten Ecke nach frischem Braten duftete. Und über allem lag der Geschmack von Fisch und Salz, den der laue Wind von der See herübertrug.
    Entlang des Kais und in den breiteren Gassen boten Händler ihre Waren feil – Fisch und Obst in Sorten, wie Elena sie noch nie gesehen hatte, aber auch Waren, die aus erbeuteten Prisen stammten. Allenthalben sah man Piraten, die diesen oder jenen Gegenstand losschlagen wollten, um das Geld, das sie dafür einhandelten, für Rum oder die Liebesdienste einer Hure auszugeben. Kinder, die wenig mehr als Lumpen am Leib trugen, huschten zwischen den Verkaufsständen hindurch und versuchten, unvorsichtigen Seeleuten mit flinken Händen das Geld aus der Tasche zu stehlen.
    Kurzum, es herrschte geschäftiges Treiben – ein lautes Ziehen, Stoßen und Zerren in den Gassen. Der Marktplatz vonMaracaibo wirkte dagegen wie das Oberdeck eines Schiffs bei Flaute. Nick war vollauf damit beschäftigt, seine Gefangene im bunten Gewühl nicht aus den Augen zu verlieren.
    Die Tatsache, dass er ihr ein neues Kleid gekauft hatte, das mit seinen kurzen Ärmeln und dem einfachen Schnitt den Erfordernissen des Ortes besser angepasst war, hatte ihre Laune nicht gehoben. Widerwillig folgte sie ihm durch das Gedränge, hinauf in die oberen Viertel der Stadt, wo die Gassen

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