Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
musste man ihm lassen: Es gab nicht viel, was ihm entging – immer hielt er Ausschau nach den Kleinigkeiten, die er später vielleicht mal gegen einen verwenden konnte. Und er war auch schlau genug, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Ahnte er mein Geheimnis? Hegte er einen ähnlichen Verdacht wie Lilly, oder wusste er vielleicht sogar mehr darüber, was hier in Wahrheit vor sich ging?
1O
Der Tag zog sich endlos dahin, bis ich nachts wieder mit meinen Freunden auf dem Floß saß. Nachdem wir eine Weile geschwommen waren, hatte sich eine entspannte Stille ausgebreitet. Wir lagen wieder da wie die Speichen, die Füße zur Mitte. Ich ließ meinen Kopf gerade ein bisschen über den Rand hängen, sodass ich die nächtliche Brise an meinem Adamsapfel spüren konnte. Die Projektion präsentierte einen Mond, der beinahe voll und von zarten Wolkenschleiern umgeben war. Ich stellte mir Aaron vor, wie er da oben vor seinen Schaltern saß und den Mond steuerte, zu- oder abnehmen ließ – oder war das mit den Phasen des echten Monds dort draußen synchronisiert? Was dies wohl mit den Tieren hier drin anstellte, wenn es nicht so war? Viele Tiere orientierten sich doch nach dem Mond – angeblich sogar manche Menschen. Beeinflusste Aaron uns vielleicht auf irgendeine unterschwellige Art und Weise?
Eigentlich wartete ich auf eine gute Gelegenheit, die anderen einmal nach der Sirene zu fragen. Ich war mir aber immer noch unsicher, ob sie nicht bloß meiner Einbildung entsprang, und wollte nicht wie ein Verrückter wirken. Außerdem verbrachten wir gerade eine gute Zeit – wir erzählten von früher, und jetzt war Lilly an der Reihe.
»Ich erinnere mich noch an den letzten Tag mit Wasser«, sagte sie. »Ich war, glaube ich, acht. Es hatte im Januar schon vierzig Grad. Wir sind früh aufgestanden, weil wir nur bis ein Uhr mittags Zeit hatten. Um eins wurde Las Vegas für immer geschlossen. Der Stausee war schon so trocken, dass die Pumpen fast nur noch Schlick ansaugten. Nahezu alle waren schon nach Norden gegangen, Richtung BZ . Mein Vater arbeitete aber für die Stadt, darum gehörten wir zu den etwa tausend Leuten, die noch blieben, um den Sargdeckel zu schließen.
Wir hatten schon Tage zuvor unsere Sachen gepackt. Kurz bevor wir losfuhren, habe ich aber noch mal einen Spaziergang durch den Hof gemacht. Wir hatten einen Saguaro hinterm Haus, aber selbst der war braun und vertrocknet. Habt ihr je so einen Kaktus gesehen? Die waren riesig und brauchten nur winzige Mengen an Wasser, doch selbst die gab es mittlerweile nicht mehr. Wir hatten sogar mal einen Pool, aber der lag schon seit ein paar Jahren trocken, und der Boden war voller Sand. Ich weiß noch, wie ich dachte, was, wenn in zehntausend Jahren die Menschen, oder was immer bis dahin aus uns geworden ist, hier vorbeikommen, sich durch all die neuen Erdschichten graben und nichts als diesen Pool finden? Für was würden sie dieses runde Zementding wohl halten, und was für Schlüsse würden sie daraus auf uns oder unsere Kultur ziehen?«
»Kiemenmenschen«, sagte Marco. »Kiemenmenschen und ihre Wasserhäuser.«
»Sehr witzig«, sagte Lilly. »Aber egal. Der Rasen war schon lange vertrocknet, er knirschte richtig und zerbröselte einfach unter meinen Füßen. Vom Hinterhof aus konnte ich auch die Reste vom Strip noch sehen – ihr wisst schon, wo früher die Casinos standen, so hell, dass man die Sterne nicht mehr sah. Es hatte noch eine Ab schiedsparty gegeben, ein Riesenfestival, das voll aus dem Ruder lief und wochenlang immer weiterging. Die Blazer wollten nichts als spielen und saufen und Sex.«
»Wer?«, fragte ich.
»Blazer waren damals Leute, die der Meinung waren, dass sowieso alles zum Teufel ging und alles Leben zum Untergang verurteilt war – also kamen sie mit allem, was sie noch hatten, nach Vegas, um in Glanz und Gloria ihren Abgang zu inszenieren. Sich umzubringen, eigentlich. Es geriet aber derart außer Kontrolle, dass ein riesiges Feuer ausbrach. Zehn Casinos brannten ab, und die Leute tanzten um die Flammen und warfen sich hinein, und noch viele andere furchtbare Sachen geschahen. Wir hielten uns davon fern, aber ich weiß noch, wie ich das Feuer von meinem Fenster aus sah, tagelang, und es beinahe schön fand. Also nicht direkt schön, aber … Wenn die Welt schon zugrunde geht, will man doch wenigstens dabei sein und sehen, was als Nächstes kommt – versteht ihr?«
»Ich weiß genau, was du meinst«, sagte Marco.
»So
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