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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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allerdings nicht wie ein Porzellanpüppchen, sondern eher ein wenig zu groß und mit zu langen Armen und Beinen. Ihre olivfarbene Haut gab immer wieder Anlass zu Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter, die sie kaum jemals ohne Handschuhe und Haube aus dem Haus ließ. Und schlimmer noch: Während andere sie liebevoll »Mary Lamb – Mary Lämmchen« nannten, gab Percy ihr den Spitznamen »Gypsy – Zigeunerin«, den sie als Beleidigung ihres Toliver-Teints auffasste.
    Doch sie war sich bewusst, dass sie mit ihren schwarzen
Haaren, den grünen Augen und dem ovalen Toliver-Gesicht Eindruck machte. Auch ihre Manieren waren einer Toliver angemessen, und sie hatte gute Noten in der Schule. Es bestand also keinerlei Anlass zu Spott.
    Weil sie keinen Grund für Percys ungewohntes Verhalten finden konnte, entwickelte sich so etwas wie Antipathie zwischen ihnen, zumindest von ihrer Seite aus. Percy hingegen schien von ihrer Abneigung genauso wenig Notiz zu nehmen wie von ihrer früheren Verehrung.
    An besagtem Tag sah sie das Eiscreme-Soda in seiner Hand trotz ihres Dursts voller Verachtung an – immerhin handelte es sich um ihre Lieblingssorte Schokolade. Den ganzen langen Julivormittag war es ihr gelungen, sich die schwüle, klebrige Hitze nicht anmerken zu lassen, indem sie die Arme ein wenig vom Körper abgespreizt hielt, damit der Wind sie kühlen konnte. Doch nun schienen Percys spöttisches Grinsen und das Soda anzudeuten, dass er sie durchschaute.
    »Hier«, sagte er. »Du siehst aus, als würdest du gleich zerfließen.«
    Sie erachtete seine Bemerkung als bewussten Affront. Toliver-Damen sahen nie aus, als würden sie gleich zerfließen. Also erhob sie sich mit trotzig vorgerecktem Kinn von der Bank und erwiderte in ihrem hochmütigsten Tonfall: »Nur schade, dass du nicht Gentleman genug bist, das zu ignorieren.«
    Percy lachte. »Vergiss den Quatsch mit dem Gentleman. Ich bin dein Freund. Trink. Du brauchst dich auch nicht zu bedanken.«
    »Allerdings, Percy Warwick«, sagte sie, das Eiscreme-Soda ignorierend, das er ihr nach wie vor hinstreckte. »Ich fände es dankenswerter, wenn du es jemandem anbieten würdest, der tatsächlich durstig ist.«
    Dann stolzierte sie zu ihrem Vater, der gerade seine Rede
beendet hatte, um ihm zu gratulieren, doch auf halbem Weg wandte sie sich um. Percy sah ihr, das Soda in der Hand, grinsend nach. Als ihre Blicke sich in einer Art Erkennen trafen, überkam sie ein ihrem vierzehnjährigen Körper bis dahin unbekanntes Gefühl. Fast hätte sie vor Überraschung laut aufgeschrien. Das merkte Percy, und er grinste noch breiter, hob das Glas und trank. Sie glaubte, die Schokolade in ihrem Mund zu schmecken.
    Jetzt ging es ihr genauso. Sie spürte, wie sich der Schweiß unter ihren Armen und zwischen ihren Brüsten sammelte und sie wieder jenes Gefühl von damals durchzuckte. »Percy … «, murmelte sie.
    »Mary?«
    Beim Klang der vertrauten Stimme drehte sie sich um, leichtfüßig wie eine Vierzehnjährige, wenn auch ein wenig verwirrt. Wie war es Percy gelungen, unbemerkt hinter sie zu treten? Gerade hatte sie ihn doch noch unter der Ulme gesehen.
    »Percy, mein Lieber …«, begrüßte sie ihn erstaunt. Nur der Gehstock und die Handtasche hinderten sie daran, die Arme nach ihm auszustrecken. »Musstest du denn mein ganzes Soda trinken? Ich wollte es damals so sehr – genau wie dich, ohne es zu ahnen. Ich war ein junges Ding und zu sehr eine Toliver. Wenn ich seinerzeit nur nicht so dumm gewesen wäre …«
    Da spürte sie, wie der Mann sie sacht an den Schultern rüttelte. »Miss Mary … ich bin’s, Matt.«

VIER
    M att?«, wiederholte Mary und blickte blinzelnd in das besorgte Gesicht von Percys Enkel.
    »Ja, Ma’am.«
    Oje , dachte Mary, als sie Matts Miene bemerkte. Sie hatte eine ziemlich alte Katze aus einem sehr alten Sack gelassen. Wie sollte sie sich aus diesem Schlamassel herausreden? Wollte sie das überhaupt? Wie schön es gewesen war, ein paar Minuten zurückzuschlüpfen in jene aufregende Zeit und Percy noch einmal mit neunzehn zu sehen …
    Das Alter hatte durchaus seine guten Seiten.
    Mary lächelte Matt an und tätschelte seine Hemdbrust. Wie sein Großvater trug er stets Sakko und Krawatte, sogar im Sommer. »Hallo, mein Lieber. Hast du mich beim Selbstgespräch ertappt?«
    »Ich wüsste keinen besseren Gesprächspartner als Sie, Miss Mary«, schmeichelte Matt ihr, und dabei strahlten seine Augen blau wie die seiner Großmutter. »Schön, Sie zu treffen.

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