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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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heimlich eine rote Rose aus dem Arrangement in der Eingangshalle genommen und zwischen die Seiten des Buchs gelegt. Fast hätte er eine kurze Notiz geschrieben und am Stiel angebracht wie alljährlich bei den Mohnblumen zur Feier des Waffenstillstandstags 1918, es sich dann aber anders überlegt. Geschriebene Worte waren genauso nutzlos
wie gesprochene, wenn der Empfänger sie als Ausdruck der Schuld deutete. Wyatt hätte nicht die geringste Ahnung, wie die Blume in den Band gelangt war, was sie bedeuten oder was er damit anfangen sollte. Lucy hatte ihn bestimmt nicht in die Tradition der Rosen eingeweiht, genauso wenig wie er selbst. Doch immerhin würde die Geste Percy trösten, der wusste, dass die Rose mit seinem Sohn in den Krieg zog, ein Zeugnis seiner Reue, gepresst zwischen den Seiten von Wyatts wertvollstem Besitz.
    Wieder verfolgte Percy die Nachrichten über den Krieg in Zeitung und Radio, las und hörte neue, seltsam klingende Namen aus einem ihm fremden Teil der Welt: Inchon, Chosin Reservoir, Fox Hill, Old Baldy, Kun-ri, MiG Alley, DMZ. Wyatt schrieb:
    Die Männer weinen und fluchen hier wie im Zweiten Weltkrieg und Deinem Krieg, Dad. Wieder das Gleiche – Angst, Langeweile, Einsamkeit, Adrenalin, Kameradschaft, Anspannung vor dem nächsten Angriff, lange Nächte fern von Familie und Heimat. Das Schlimmste sind das beschissene Terrain – Hügel, nackt und braun wie Bärenärsche – und das nächtliche Warten im Schützengraben auf die kommunistischen Horden mit ihren Signalhörnern – »Rülpsknarren« nennen wir sie. Da kann man nur eine Gänsehaut kriegen. Aber ich denke, so oft es geht, an Claudia und Matt, die bei Dir gut aufgehoben sind.
    Kurz nach Wyatts Abreise hatte Percy etwas hervorgeholt, das bei Wyatts Heimkehr aus dem Zweiten Weltkrieg weggeräumt worden war. Er schlug das rot gesäumte viereckige Tuch aus weißer Seide vor dem kleinen Matt auseinander, der in seinem Bettchen vor sich hin gluckste. »Was das ist, fragst du, kleiner Kerl? Eine so genannte Dienstflagge.
Die hänge ich ins vordere Fenster. Der blaue Stern darauf zeigt den Leuten, die vorbeigehen, dass ein Mitglied dieser Familie seinem Land im Krieg dient, nämlich dein Dad.«
    Ende September 1951, knapp eineinhalb Jahre nach Wyatts Abreise, rief Claudia Percy im Courthouse Café an, wo er Kaffee mit den Angehörigen des OBC, des Old Boys’ Club, trank, und bat ihn, nach Hause zu kommen. Percy fragte nicht nach dem Grund. Er bezahlte wortlos und schritt in den blaugoldenen Morgen hinaus, ganz ähnlich dem am letzten Lebenstag seines älteren Sohnes. Vor seinem Haus sah er einen Wagen des US Marine Corps stehen. Sie hatten ein Team aus Houston geschickt, einen Kaplan und zwei Offiziere, um der Familie mitzuteilen, dass Wyatt Trenton Warwick auf einem düsteren Schlachtfeld namens Punchbowl im Kampf den Tod gefunden habe. Ein paar Tage später kehrte sein Sarg, in eine amerikanische Flagge gehüllt, heim, die seiner Witwe am offenen Grab im Namen der dankbaren Nation gefaltet überreicht wurde. Percy hatte sich gegen den Vorschlag des Bestattungsunternehmers ausgesprochen, Wyatt zu Füßen von Matthew DuMont beizusetzen.
    »Nicht zu seinen Füßen, sondern neben ihm«, wies Percy ihn an.
    »Wenn Sie meinen«, sagte der Bestattungsunternehmer. »Sie waren ja beste Freunde.«
    »Nicht nur Freunde«, erwiderte Percy mit vor Emotion zitternder Stimme. »Brüder.«
    »So werden sich alle an die beiden erinnern«, pflichtete ihm der Bestattungsunternehmer bei. »Sie standen einander nahe wie Brüder.«
    Seine Kollegen von der Papiermühle, seine früheren Klassenkameraden und Freundinnen, seine alten Football-Kumpel und -Trainer kamen zur Trauerfeier. Lucy wohnte
ihr schwarz gekleidet, das blasse Gesicht verschleiert, bei und quartierte sich in Warwick Hall ein. Percy hätte gern mit ihr geweint und die Mutter seines Sohnes getröstet, doch ihr kalter Blick zwang ihn, Distanz zu halten. Als es um die Wahl des Grabschmucks ging, sagte sie: »Bitte, Percy, keine Rosen …«
    Deshalb erzitterte neben dem Grab von Matthew DuMont ein Teppich aus rotem Mohn in der Brise, als die Soldaten der Ehrenwache die Gewehre zum Abschiedssalut hoben. Die Schüsse hallten Percy in den Ohren und brachten den kleinen Matthew auf seinem Arm zum Weinen.
    »Claudia und Matt werden bei dir in Howbutker bleiben, sagt sie«, bemerkte Lucy am Abend.
    »Ja, Lucy.«
    »Sie meint, Wyatt wollte das so.«
    »Ja, Lucy.«
    »Die Welt ist ungerecht, Percy

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