Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
Ollie DuMont gehörte eines der exklusivsten Kaufhäuser in Texas, und Percy Warwicks Unternehmen steht seit Jahrzehnten auf der Fortune-500 -Liste. Welche ›unklugen Entscheidungen‹ zu solchen Konsequenzen geführt haben, würde ich wirklich gern erfahren.«
»Glaub mir einfach«, antwortete Mary und straffte die Schultern. »Es gibt einen Fluch der Tolivers; er hat uns alle beeinflusst. Percy kennt ihn nur zu gut. Und auch Rachel wird ihn begreifen, wenn ich ihr Beweise für seine unbestreitbare Existenz vorlege.«
»Du hast ihr jede Menge Geld hinterlassen«, hakte Amos nach. »Was ist, wenn sie anderswo Grund erwirbt und ein neues Somerset sowie eine neue Toliver-Dynastie begründet? Begleitet sie dieser Fluch dann nicht?«
Ein unergründlicher Ausdruck trat in ihre Augen, und sie verzog verbittert den Mund. »Der Begriff ›Dynastie‹ verweist auf Söhne und Töchter, denen man das Staffelholz weitergeben kann. So gesehen, sind die Tolivers niemals eine Dynastie gewesen; eine Tatsache, die dir bei der Lektüre der historischen Dokumente vermutlich entgangen ist«, erklärte sie in ironischem Tonfall. »Nein, der Fluch würde sie nicht begleiten. Sobald die Nabelschnur zur Plantage durchtrennt ist, stirbt der Fluch. Kein anderes Land besitzt die Macht, uns das zu rauben, was Somerset uns geraubt hat. Rachel wird ihre Seele nicht mehr für den Grund und Boden der Familie verkaufen wie ich.«
»Du hast deine Seele für Somerset verkauft?«
»Ja, sogar mehrmals. Genau wie Rachel. Die ich nun von diesem Fluch befreien möchte.«
Jetzt sank Amos seinerseits in sich zusammen. Offenbar
hatte er tatsächlich einige Fakten übersehen. Er versuchte es mit einem weiteren Argument: »Mary, dieses Kodizill ist dein letzter Gruß an diejenigen, die du liebst. Überleg dir bitte, wie es möglicherweise nicht nur Rachels Meinung von dir, sondern auch ihr Verhältnis zu Percy beeinflussen wird, wenn das, was ihr von Rechts wegen zusteht, in seinen Besitz übergeht. Willst du ihr wirklich so in Erinnerung bleiben?«
»Dass sie mich falsch verstehen, muss ich riskieren«, sagte Mary, allerdings mit sanfterem Blick. »Ich weiß, wie gern du Rachel magst, und dass du meinst, ich würde sie betrügen, doch das tue ich nicht, Amos. Im Gegenteil: Ich rette sie. Ich wünschte, es wäre Zeit für eine Erklärung, aber es geht leider nicht. Du musst mir einfach glauben, dass ich weiß, was ich tue.«
Er verschränkte die Hände über dem Dokument. »Ich habe den ganzen Tag Zeit, Mary. Susan hat alle meine Nachmittagstermine abgesagt.«
Sie streckte ihre schmale, blau geäderte Hand aus, um sie über seine grobknochigen Finger zu legen. »Das mag sein, mein Lieber, aber unglücklicherweise habe ich keine. Ich denke, jetzt wäre der richtige Moment, den Brief in dem anderen Umschlag zu lesen.«
Er sah das weiße Kuvert an, das mit der Schrift nach unten auf dem Tisch lag, drehte es mit klopfendem Herzen um und las den Absender. »Eine Klinik in Dallas«, murmelte er, während Mary, den Kopf abgewandt, nervös an der Kette herumzufingern begann, die ihr Mann Ollie ihr geschenkt hatte, eine Perle für jedes ihrer Ehejahre, bis zu seinem Tod. Zweiundfünfzig befanden sich daran, samt und sonders groß wie Kolibrieier; das Schmuckstück ruhte im Ausschnitt ihres grünen Kostüms wie dafür gefertigt. Auf diese Perlen richtete er den Blick, nachdem er den Brief gelesen hatte, weil er es nicht schaffte, ihr in die Augen zu sehen.
»Nierenkrebs«, krächzte er, und dabei bewegte sich sein Adamsapfel auf und ab. »Lässt sich nichts machen?«
»Ach, doch, das Übliche«, antwortete sie. »Operation, Chemotherapie, Bestrahlungen. Das würde nur meine Tage verlängern, aber nicht mein Leben. Ich habe mich gegen eine Behandlung entschieden.«
Amos nahm die Brille von der Nase, schloss die Augen und kniff sich in den Nasenrücken, um nicht zu weinen. Mary konnte es nicht leiden, wenn Menschen ihre Gefühle zur Schau stellten. Jetzt wusste er, was sie im vergangenen Monat – abgesehen von der Vorbereitung des Verkaufs von Toliver Farms – in Dallas gemacht hatte. Und niemand hatte etwas davon geahnt – weder ihre Großnichte noch ihr ältester Freund Percy noch Sassie, ihre Haushälterin seit über vierzig Jahren, noch ihr treuer alter Anwalt. Typisch Mary, ihre Karten erst ganz am Schluss aufzudecken.
Amos setzte die Brille wieder auf und zwang sich, Mary anzusehen. »Wie lange noch?«, fragte er.
»Drei Wochen …
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