Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
ihre Mutter zu kümmern. Vielleicht wäre ihre Einstellung anders gewesen, wenn ihre Zimmergenossin sie aus Zuneigung besucht hätte, doch sie wussten beide, dass das nicht der Fall war. Lucy hatte sich in Percy verliebt, und Mary fungierte genauso als Verbindung zu ihm wie Mary Harden Baylor als Ausgangspunkt für Warwick Hall.
»Das verstehe ich nicht«, meinte Mary. »Warum willst du die Stelle jetzt antreten, wo Percy zum Militär geht? Hat Miss Peabody dir denn keine besser bezahlte hier angeboten?«
»Welchen besseren Ort gäbe es wohl, um auf Percys Rückkehr zu warten?« Die Erregung ließ Lucys kornblumenblaue Augen aufleuchten. »Dort bin ich ganz in der Nähe von Houston Avenue und kann ihn sehen, wann immer er ein paar Tage Heimaturlaub hat. Ich darf doch bei dir wohnen, wenn er da ist, oder?«, fragte sie mit flehendem Blick.
Was die Kleine sich einbildet!, dachte Mary verärgert. Wie kam sie überhaupt auf die Idee, dass Percy sie treffen wollte? »Lucy, die Jungs fahren nach Frankreich. Ein paar Tage Heimaturlaub halte ich eher für unwahrscheinlich. Möglicherweise bleiben sie bis zum Ende des Krieges weg.«
Lucy schob die Unterlippe vor und steckte den Brief zurück in den Umschlag. »Auch egal. Ich kann euch trotzdem besuchen kommen, die Straße zu seinem Haus entlanggehen
und ihm Küsse schicken, die ihren Weg in sein Zimmer und sein Bett schon finden …«
»Ach, Lucy …«
»Tu nicht so mitleidig, Mary Toliver. Das bringt ihn zurück. Das weiß ich!« Lucy ballte die kleinen, feisten Hände. »Ich gehe jeden Tag zur Beichte und zünde eine Kerze an, damit er gesund wiederkommt. Jeden Abend spreche ich fünfzig Gegrüßet-seist-du-Marias, und ein Zehntel meines Gehalts überlasse ich der Kirche, damit der Pfarrer einen Gottesdienst für Percy hält – und natürlich auch für deinen Bruder und Ollie DuMont.«
Mary räusperte sich in ihr Taschentuch. Lucy war katholisch, was ihre Chancen auf Percy, den Sohn überzeugter Methodisten, erheblich schmälerte. Mary bezweifelte, dass die allgemein bekannte Toleranz der Familie gegenüber Glaubensrichtungen, Rassen und Religionen ausreichte, um eine Katholikin einheiraten zu lassen.
»Sobald ich hier fertig bin«, erklärte Lucy, »fahre ich nach Belton und suche mir eine Bleibe. Und dann …«, sie hob eine Augenbraue, »… wird meine beste Freundin mich bestimmt eine Woche oder so einladen, damit ich du-weißt-schon-wen sehen kann.«
Mary rutschte unruhig auf ihrem Sitz herum. »Ich will dich ja nicht enttäuschen, Lucy, aber ich habe keine Ahnung, wie es Mutter jetzt geht, und wenn auch noch Miles während der Ernte weg ist …«
Lucys Freude verwandelte sich in Schmollen. »Geerntet wird erst im August.«
»Was bedeutet, dass ich mit tausend anderen Dingen beschäftigt sein werde.« Mary seufzte. Lucy wusste um ihren Kummer über Miles’ schlechte Führung von Somerset. »Ich werde einfach keine Zeit haben, mich um dich zu kümmern.«
»Wie soll ich dann Percy noch sehen?«, jammerte Lucy.
»Mrs Warwick lädt mich bestimmt nicht ein. Die Familie hat genug damit zu tun, seine Abreise vorzubereiten, und möchte sicher so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen.«
Und wo bleibt deine Rücksicht auf meine Familie? , hätte Mary am liebsten ausgerufen, die sich über diesen neuerlichen Beweis für Lucys mangelnde Sensibilität ärgerte – ein weiterer Grund, warum Percy sich nie für sie interessieren würde.
»Ich falle dir nicht zur Last.« Lucy flehte Mary mit ihren blauen Augen an. »Meinetwegen musst du dir keinerlei Umstände machen.«
»Weil du sowieso damit beschäftigt sein wirst, Kusshändchen in Richtung Warwick Hall zu werfen?«, fragte Mary grinsend. Vielleicht wäre ein häufigeres Zusammentreffen mit Percy doch nicht so schlecht. Wenn er Lucys Vernarrtheit bemerkte (und wem konnte die schon entgehen?), würde er sie sofort entmutigen. Er würde niemals in den Krieg ziehen und sie in dem Glauben lassen, dass er ihre Gefühle erwiderte.
Ein wenig versöhnt, tätschelte Mary die Hand ihrer Zimmergenossin. »Wahrscheinlich bin ich sogar froh um deine Gesellschaft. Lass es uns wissen, wann du kommen willst, dann schicke ich jemanden zum Bahnhof.« Als sie den erwartungsvollen Gesichtsausdruck Lucys sah, fügte sie hinzu: »Nein, Lucy, ich kann dir nicht versprechen, dass es Percy sein wird.«
NEUN
V om Abteil aus winkte Mary Lucy zum Abschied zu, die draußen am Bahnsteig auf den Milchwagen wartete und ihr Fenster
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