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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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tat er seiner kleinen Schwester so etwas an? Sie musste nach Hause und ihm diesen Irrsinn ausreden.
    »Wie ich sehe, sind Sie mit dem Packen fertig«, hörte sie da die Stimme von Elizabeth Peabody, der Schulleiterin, die in der offenen Tür stand, Kneifer auf der Nase, Klemmbrett in der Armbeuge.
    »Ja«, antwortete Mary überrascht, die nicht erwartet hatte, von Miss Peabody höchstpersönlich verabschiedet zu werden. Die Hausmutter oder deren Schülerassistentinnen, zu denen Marys Zimmergenossin Lucy Gentry gehörte, hatten das bei den anderen Mädchen im Stockwerk gemacht, und da Mary ihren Raum als Letzte verließ, bestand kein Mangel an Leuten, die diese Aufgabe hätten erledigen können. Es war typisch für die boshafte Miss Peabody, dass sie nicht Lucy schickte. Sie will mir noch einmal eins reinwürgen , dachte Mary und wandte sich von der Frau ab, um in die Jacke ihres Reisekostüms zu schlüpfen.
    »Wie viele Gepäckstücke?«
    »Vier.«
    Elizabeth Peabody vermerkte das auf ihrem Klemmbrett, bevor sie das Zimmer betrat und kritisch den Blick über die abgezogenen Betten, geöffneten leeren Schubladen und Schränke sowie Wände gleiten ließ.
    »Sind Sie noch einmal alles durchgegangen, um sicher zu sein, dass Sie nichts vergessen haben? Die Schule haftet nicht für verbliebene Gegenstände, sobald die betreffende Schülerin das Gelände offiziell verlassen hat.«
    »Ja, Miss Peabody. Ich lasse nichts zurück.«
    Miss Peabodys Achataugen blitzten hinter ihrem Kneifer auf.
    Mary begegnete ihrem abweisenden Blick mit jener kühlen Gleichgültigkeit, die sie von Anfang an von den anderen Mädchen unterschieden hatte. »Allerdings«, meinte Miss Peabody. »Meines Wissens hat noch keine unserer Schülerinnen so wenig zum Schulleben beigetragen und von ihm profitiert wie Sie.«
    Mary dachte kurz über diese Aussage nach, bevor sie mit einem beherrschten Lächeln widersprach: »Das stimmt nicht, Miss Peabody. Ich weiß jetzt, dass der Satz, den sie gerade gebildet haben, eine grammatikalische Parallelstruktur beinhaltet.«
    »Sie sind unmöglich.« Die Schulleiterin ballte die Hand mit dem Stift zur Faust. »Ein unmögliches, eigensinniges, egoistisches Mädchen.«
    »In Ihren Augen vielleicht.«
    »Ich habe gelernt, meinen Augen zu vertrauen, und sie sehen in Ihnen eine junge Frau, die ihre Entscheidung bereuen wird.«
    »Das wage ich zu bezweifeln, Miss Peabody.« Die Schulleiterin bezog sich auf Marys Weigerung, die eine Hälfte eines der berühmten Paare zu werden, für deren Zusammenführung Bellington Hall bekannt war. Mary hatte bereits früh bemerkt, dass viele Eltern ihre Töchter auf diese Schule schickten, um sie mit reichen Brüdern, Cousins, jungen Onkeln oder sogar verwitweten Vätern anderer Schülerinnen verkuppeln zu lassen. Der Mann, dessen Antrag Mary ausgeschlagen hatte, war Richard Bentwood, ein wohlhabender Textilfabrikant aus Charleston und Bruder eines der wenigen Mädchen, die Mary gut leiden konnte. »Amanda wird noch ein Jahr hier sein«, sagte Mary. »Vielleicht gelingt es Ihnen
ja, ihren Bruder einer geeigneteren jungen Dame vorzustellen.«
    »Mr Bentwood benötigt mich nicht, um geeignete Damen kennenzulernen, Miss Toliver. Sie können sicher sein, dass es in den Kreisen, in denen er verkehrt, nur so von ihnen wimmelt, während Sie höchstwahrscheinlich in den Ihren keinen zweiten Richard Bentwood mehr treffen werden.«
    Mary wandte sich ab, um einen weichkrempigen Hut mit einer Nadel festzustecken, bevor Miss Peabody sah, dass ihr ein Treffer gelungen war. In gewisser Hinsicht hatte die Schulleiterin recht, auch wenn Percy, Ollie und Emmitt Waithes Sohn Charles sich mit jedem Mann, Richard Bentwood eingeschlossen, messen konnten. Das Problem lag darin, dass keiner von ihnen für sie bestimmt war. Bei ihrem Nein zu Richards Heiratsantrag hatte sie sich tatsächlich gefragt, ob und wann sie je wieder jemandem wie ihm begegnen würde. Er wäre in jeder Hinsicht der Richtige für sie gewesen – nur nicht in der, die für sie zählte. Er hätte von ihr erwartet, dass sie Somerset nach ihrer Hochzeit einem Verwalter übergab und zu ihm nach Charleston zog, und natürlich kam das nicht in Frage.
    Erleichtert hörte Mary, wie der Pedell ihr Gepäck vom Flur holte, doch Miss Peabody war noch nicht mit ihr fertig. Als Mary ihre Handschuhe anzog, fuhr sie fort: »Soweit ich weiß, werden die munteren Erben eurer Clans in den Krieg ziehen. Wollen wir hoffen, dass das Schicksal es gut mit ihnen

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