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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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würde allerdings die Hölle losbrechen, weil Lucy dann glaubte, Mary hätte sie bewusst angelogen, und ihr restliches Leben überzeugt wäre, sie sei betrogen worden.
    Als Percy drei Wochen später nach Hause kam, schickte er Mary von seinem Büro aus einen kurzen Brief. Mary las ihn gleich, weil sie hoffte, er würde darin einen Zeitpunkt für ein Treffen vorschlagen, doch er teilte ihr lediglich mit, dass er wohlbehalten zurückgekehrt sei und in den kommenden Wochen beruflich sehr beschäftigt sein werde. Trotz ihrer Enttäuschung konnte Mary sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Jetzt erfuhr Percy am eigenen Leib, was es bedeutete, sich für den Familienbetrieb aufzuarbeiten.
    Einige Tage später zog Jeremy sich eine schwere Kopfverletzung zu, und Percy musste die Leitung der Warwick Lumber Company übernehmen und sich um deren Belange in weit entfernt liegenden Gebieten wie Oregon, Kalifornien und Kanada kümmern. Selbst wenn er es gewollt hätte, wäre es ihm schwergefallen, sich zwischen seinen zahlreichen Terminen an sie und ihre Unberechenbarkeit anzupassen. Nun hatten sie tatsächlich bekommen, was sie sich schuldeten: Sie konnten feststellen, ob sie in der Lage waren, ohne einander zu leben. Offenbar waren sie es.
    Mitte November wurde es auf Somerset ruhiger. Die
Felder lagen unter einer Schneedecke, und die Pächter und Mary gönnten sich eine kurze Verschnaufpause. Mary schlug Einladungen zu Erntedankessen bei den DuMonts und den Warwicks aus, weil sie hoffte, ihre Mutter nach unten zu Sassies gefülltem Truthahn locken zu können. Doch sie weigerte sich, und so nahmen Mary, Sassie und Toby die Mahlzeit in der Küche ein und brachten ihr ein Tablett mit Essen hinauf.
    Das Weihnachtsfest erwies sich also genauso trist. Percy, der hin und wieder kurze Botschaften schickte (die Tolivers besaßen kein Telefon), lud sie zum Weihnachtsball des Country Club ein. Sie schrieb ihm, sie könne ihn leider nicht begleiten, weil sie keine geeignete Kleidung besitze. »Mir würde es auch nichts ausmachen, wenn Du einen Sack trägst«, antwortete er zurück. »Denn selbst dann wärst Du immer noch die Schönste.«
    In Wahrheit hatte sie sich von sämtlichen gesellschaftlichen Aktivitäten zurückgezogen, weil sie nur zu deutlich spürte, was die Leute von der Entscheidung ihres Vaters und von ihr selbst hielten, die keine Anstalten machte, das Unrecht ihrer Mutter gegenüber auszugleichen. Äußerungen darüber, dass sie auf den Feldern schufte wie eine Tagelöhnerin, kamen ihr zu Ohren. Das ärgerte sie, bestärkte sie jedoch auch in ihrer Entschlossenheit, dem Namen der Tolivers wieder seinen früheren Glanz zu verleihen.
    Percy fehlte ihr sehr, und sie begann sich zu fragen, ob er sich nicht bewusst rarmachte. Wollte er ihr vor Augen führen, wie einsam sie war und wie sehr sie sich nach ihm sehnte? Falls ja, ging sein Plan auf, besonders wenn ihr der Gedanke kam, dass er sich in ihrer Abwesenheit vielleicht mit anderen Frauen traf.
    Ein Besuch Ollies brachte sie dazu, einem Treffen an Heiligabend zuzustimmen. »Ein Nein akzeptiere ich nicht«, erklärte Ollie. »Percy und ich schauen mit Geschenken und
Champagner vorbei. Also wirf dich in Schale, Mary Lamb, und sag Sassie, sie soll ihre himmlischen Käsecracker backen. So gegen acht?«
    Mary gab die Cracker in Auftrag und schmückte einen kleinen Weihnachtsbaum im Salon. Außerdem manikürte sie ihre Nägel und genoss ein langes Duftbad. Anschließend schlüpfte sie in das dunkelgrüne Samtkleid, das sie an dem Abend getragen hatte, an dem Richard Bentwood sie unter dem Mistelzweig küsste, und steckte ihre glänzenden, frisch gewaschenen Haare mit Sassies Hilfe kunstvoll hoch. Schließlich schmückte sie Hals und Ohren mit den Perlen ihrer Mutter, und als sie am Ende in den Spiegel blickte, erkannte sie sich fast selbst nicht mehr.
    Percy und Ollie blieb ebenfalls der Mund offen stehen. »Was ist denn los?«, begrüßte sie die zwei lachend an der Tür. »Habt ihr noch nie eine Frau im Partykleid gesehen?«
    Mary tat, als bemerkte sie nicht, wie die beiden sie beim Austausch der Geschenke und beim Zuprosten immer wieder musterten – Percy vorsichtig und Ollie mit unverhohlener Bewunderung. Da sie sich wie eine Elchkuh zwischen zwei brunftigen Bullen vorkam, wich sie ihren Blicken aus.
    »Ollie, wie aufmerksam von dir!«, rief sie aus, als sie sein Geschenk, einen eleganten Silberstift in Form eines hübschen Schmuckstücks, auspackte. »Du hast dir

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