Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
Hocke. Wieder kam Mary die Situation seltsam bekannt vor, und ihr fiel ein, warum: Percy war am Abend nach der Verlesung des Testaments zu ihr gekommen und hatte sich bei ebendiesem Sessel neben sie gekniet. Sein Gesicht zeigte jetzt genau den gleichen Ausdruck wie damals. Er berührte die Blütenblätter der Rose. »Die hat er dagelassen?«
Sie nickte.
»Dann musst du ihm vergeben.«
Erneut ein leichtes Nicken, bevor sie mit tonloser Stimme sagte: »Er wird in Frankreich sterben und nicht mehr heimkommen. Und ich muss es Mama erklären. Du hattest mir versprochen, ihn von seinen Plänen abzubringen.«
»Ja, stimmt, Gyp… Mary, aber sein Beschluss war gefasst. Er wollte zurück zu der Frau, die ihn glücklich macht. Vergiss den Kommunismus-Quatsch. Du weißt ja, wie lange so was bei Miles dauert. Ich würde wetten, dass die Sache mit Marietta auch nicht lange hält, wenn die beiden die ganze Zeit zusammen sind.«
»Er hätte hierbleiben sollen.« Mary richtete sich kerzengerade auf. »Wir brauchen ihn, mehr denn je. Er hat sich immer vor der Verantwortung der Familie gegenüber gedrückt.«
Percy schlug mit der Faust auf die Armlehne des Sessels und stand auf. »Das ist nicht fair, Mary, und das weißt du auch. Dass dein Bruder seine Pflicht der Familie gegenüber anders sieht als du, bedeutet noch lange nicht, dass er verantwortungslos ist.«
Marys Frustration wuchs. Sie hätte Percy nicht herbitten sollen. Seit ihrem Gespräch auf der Plantage hatten sie einen
Vorgeschmack darauf bekommen, was sie erwartete, wenn sie sich an ihre Abmachung hielten. Zweimal hatten sie sich für den Abend verabredet. Beide Male war sie durch unvorhergesehene Probleme auf der Plantage aufgehalten worden und Percy zur vereinbarten Uhrzeit an Ort und Stelle gewesen, ohne Mary anzutreffen. Das erste Mal hatte er sich ins Büro begeben und Papierkram erledigt, das zweite Mal mit Miles Ollie abgeholt, um in den Country Club zu gehen und sich zu betrinken.
An anderen Abenden hatte Percy keine Zeit gehabt, weil die Warwick Lumber Company momentan neue Arbeitsverträge aushandelte, was oft bis spät in die Nacht dauerte. Dies war ihr erstes Treffen seit dem Gespräch auf der Plantage, und schon standen sie kurz vor einem Streit. Doch dafür fehlte Mary die Kraft. Sie war müde, immer müde. Mary stand auf und legte die Rose weg.
»Ich will ja nur sagen«, erklärte sie in versöhnlicherem Tonfall, »dass Miles wenigstens noch ein paar Monate bleiben und Sassie bei der Pflege unserer Mutter hätte beistehen können. Das wäre sicher gut gewesen für Mama.«
»Miles glaubt, dass ihm keine paar Monate mehr bleiben«, entgegnete Percy.
»Umso mehr Grund, die Zeit mit Mama zu teilen.«
»Verstehe …«, sagte Percy in unverbindlichem Tonfall und machte Mary damit noch wütender.
»Was verstehst du, Percy?«
Ihr Zorn schien ihn nicht zu berühren. »Würdest du, angenommen, deine Mutter erlaubte es dir, Sassie ablösen?«
»Die Frage ist müßig. Du weißt doch, dass sie mich nicht zu sich ins Zimmer lässt.«
»Aber was wäre, wenn sie es doch täte? Wem würdest du dann deine Zeit widmen – deiner Mutter oder Somerset?«
»Fängst du wieder damit an?«
»Ich versuche nur, dir klarzumachen, dass Miles das gleiche Recht auf eigene Entscheidungen hat wie du.«
Verärgert wandte sie sich dem Kamin zu. Der Altweibersommer war vorüber, der kühle Herbst hatte begonnen. In der Verfassung, in der sie sich augenblicklich befand, hätte sie sich sogar im Sommer über ein wärmendes Feuer gefreut. Percy hatte ihr gerade mitgeteilt, dass Miles das gleiche Recht auf Egoismus besaß wie sie. Sie würden ihre Differenzen nie ausräumen können, das wurde ihr von Tag zu Tag klarer. Den Rücken Percy zugewandt, die Hände um die Ellbogen gelegt, sagte sie: »Ich bedauere zutiefst, was mit Mutter passiert ist, aber niemand konnte ihre Reaktion auf den Inhalt des Testaments ahnen. Wenn Papa gewusst hätte, dass sie diese Regelung als Schande empfindet, wäre er möglicherweise zu einem anderen Beschluss gelangt.«
»Ach. Warum hat er dann Emmitt gebeten, ihr eine rote Rose zu geben?«
Sie drehte sich zu Percy um. Er hielt ihr die Rose hin wie ein rotes Tuch dem Stier. Sie entriss sie ihm. »Das geht nur die Tolivers etwas an! Bitte geh jetzt, Percy. Tut mir leid, dass ich dich hergebeten habe.«
»Mary, ich …«
»Raus!«
»Mary, du bist müde und überarbeitet. Bitte … lass uns das ausdiskutieren.«
»Da gibt’s nichts zu
Weitere Kostenlose Bücher