Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
also gemerkt, dass ich ständig meine Stifte verlege.« Sie nahm das Geschenk an der Kette aus dem Etui. »Aber den hier werde ich nicht mehr aus den Augen lassen.« Mary stand lächelnd auf, um seine rosig-runde Wange zu küssen.
Von Percy bekam sie schön gearbeitete Arbeitshandschuhe aus feinstem Leder, die zierlich wirkten, jedoch ausgesprochen robust waren. Mary wurde rot. »Wie aufmerksam auch von dir, Percy, aber sie sind viel zu fein für die Arbeit.« In einem der Handschuhe steckte ein Zettel, den sie bewusst
ignorierte. Sie würde ihn später lesen, wenn Percy weg wäre.
»Für deine Hände können sie gar nicht fein genug sein«, erwiderte er, und ihr Herz machte einen Sprung, als sie auch ihm einen Kuss auf die Wange gab.
Sie selbst schenkte Ollie ein Werk von Oscar Wilde, seinem Lieblingsschriftsteller, und Percy einen Bildband über nordamerikanische Bäume. Am Ende des Abends begleitete sie sie zur Tür; Percy wollte offenbar nicht noch auf eine Unterhaltung unter vier Augen bleiben. »Ich wünschte, du würdest uns begleiten«, sagte Ollie.
»Nächstes Jahr vielleicht«, meinte Mary mit einem wehmütigen Lächeln. Die beiden fuhren nun zum Haus von Ollie, wo Abel wie immer am Heiligabend eine Feier für befreundete Familien veranstaltete. Mary schien es viele Jahre her zu sein, dass sie mit ihrer Familie – ihre Mutter im Pelz, sie mit einem weißen Fuchsmuff und dazupassender Mütze – Hand in Hand zu dem Fest gegangen und danach unter dem Sternenhimmel »Stille Nacht« singend nach Hause zurückgekehrt war.
»Darauf werden wir zurückkommen, Mary«, sagte Percy, und zum ersten Mal sehnte sie sich danach, ihren Spitznamen aus seinem Mund zu hören. Als die beiden weg waren, lehnte sie sich gegen die geschlossene Tür und lauschte ihrem fröhlichen Geplänkel nach. Dann kehrte sie niedergeschlagen in den Salon zurück, schürte das Feuer und brachte den übrig gebliebenen Champagner in die Küche, um ihn wegzuschütten. Später setzte sie sich mit den Geschenken in die Fensternische und las Percys Zettel beim Licht des Mondes: Für die Hände, die ich den Rest meines Lebens halten möchte. In Liebe, Percy.
SIEBZEHN
I hre Mama möchte Sie sehen, Miss Mary.«
Mary hob mit gerunzelter Stirn den Blick von der Kladde, in der sie am Schreibtisch ihres Vaters Einnahmen und Ausgaben für das kommende Jahr kalkulierte. Es war der 1. Januar 1920. »Mama will mich sehen? Warum denn das?«
Sassie zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Jedenfalls sitzt sie aufrecht in ihrem Bett, bildhübsch zurechtgemacht. Sie hat sich heute Morgen ganz allein gebadet und gekämmt und die Haare mit einem blauen Band zurückgebunden. Ich soll ihr nach ihrem Nickerchen beim Anziehen helfen, damit sie herunterkommen kann.«
Mary stand argwöhnisch auf und warf einen Blick auf die Uhr am Kaminsims. Eigentlich hatte sie keine Zeit für solche Spielchen, weil sie ihre Zahlen parat haben musste, wenn sie sich mittags mit Jarvis Ledbetter, einem benachbarten Pflanzer, traf. Aber wenn sich bei ihrer Mutter tatsächlich eine positive Wendung ankündigte …
Mary markierte die Stelle, die sie gerade in der Kladde bearbeitete. »Was ist denn in sie gefahren?«
»Ich weiß es nicht, Miss Mary. Jedenfalls führt sie was im Schilde.«
»Und was? Sie hat seit über einem Jahr ihr Zimmer nicht verlassen und niemanden von draußen gesehen. Ist etwa ein Brief von Miles für sie gekommen?«
»Falls ja, hab nicht ich ihn ihr gebracht.«
Mary tätschelte Sassies Schulter. »Ich frag sie mal, was sie
braucht. Bring uns doch bitte eine Kanne Kaffee rauf. Und hab ich da nicht vor einer Weile Zimtbrötchen gerochen? Leg ein paar auf einen Teller. Vielleicht isst sie eins.«
»Ja, ich hab welche gebacken. Heute Nachmittag will Mister Ollie vorbeischauen, und Sie wissen ja, wie der meine Zimtbrötchen liebt.« Sie folgte Mary kichernd hinaus in den Flur. »Für einen Mann wie Mister Ollie kocht man gern. Und für Mister Percy auch, obwohl der nicht ganz so viel Freude am Essen hat wie Mister Ollie.«
Mary zupfte ihr grünes Haarband zurecht, bevor sie nach oben ging. Sassies Hinweise darauf, dass es für sie allmählich Zeit wäre zum Heiraten, waren alles andere als subtil. Da Percy kaum noch zu Besuch kam, erachtete Marys treue alte Haushälterin dieses Projekt jedoch offenbar als abgeschlossen.
Mary bekam wie immer Schmetterlinge im Bauch, wenn sie an ihn dachte. Hatte er wirklich das Interesse an ihr verloren? Spekulierte er,
Weitere Kostenlose Bücher