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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leila Meacham
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sich fühlt und wie leid es ihr tut? Hab doch ein bisschen Mitleid mit der Frau. Sie hat viel durchgemacht.«
    »Na schön, ich versuch’s, Ihnen zuliebe, Miss Mary«, versprach Sassie.
    Am folgenden Nachmittag war Darla zur vereinbarten Zeit für ihren ersten Ausflug in die Stadt seit ihrem Besuch in Emmitt Waithes Kanzlei bereit. Die Modewelt hatte sich sehr verändert, seit ihr riesiger, vogelnestähnlicher Hut und der leicht ausgestellte Rock en vogue gewesen waren. Mary schämte sich fast ein wenig, als sie sie die Stufen herunterkommen und ihre langen Handschuhe anziehen sah, ohne sich darüber bewusst zu sein, wie schrecklich altmodisch ihre Kleidung wirkte.
    Als sie mit dem Einspänner die Main Street erreichten, rief Darla aus: »Du gütiger Himmel! So viele Automobile auf dem Courthouse Circle!«
    »Irgendwann leisten wir uns auch noch ein Automobil, Mama.«
    »Wahrscheinlich nicht zu meinen Lebzeiten, Mary Lamb.«
    Darla erwarb die Sachen, die sie brauchte, bei Woolworth’s . Zu Marys Erleichterung hielten sich so gut wie keine anderen Kunden in dem Geschäft auf, so dass Darla die Verkäuferin ganz für sich hatte. Zusammen wählten sie cremefarbene Wollknäuel aus, die sie auf der Theke stapelten. Widerstrebend entfernte Mary sich so weit von den beiden, dass sie ihr geflüstertes Gespräch nicht belauschen konnte. Nach einer Weile wies ihre Mutter sie an: »Und jetzt dreh dich bitte weg, Mary. Was ich als Nächstes aussuche, darfst du auf keinen Fall sehen.«
    Mary gehorchte und bekam nur noch mit, dass Darla und die Verkäuferin mit gesenkter Stimme diskutierten. Nach einer Weile hörte sie, wie etwas von einer Spule gerollt wurde, das Schnippen einer Schere sowie das Knistern von Seidenpapier, als alles eingepackt wurde. »Jetzt kannst du dich wieder umdrehen«, sagte ihre Mutter schließlich.
    Darlas Wangen waren gerötet, und während der Fahrt zurück zur Houston Street lächelte sie zufrieden vor sich hin. Die Freude über das strahlende Gesicht ihrer Mutter veranlasste Mary zu fragen: »Bist du glücklich, Mama?«
    Darla wandte sich ihrer Tochter zu. »So glücklich wie schon lange nicht mehr, Mary, mein Lämmchen«, antwortete sie.
    Mary schnalzte mit den Zügeln. Sie würde Miles so schnell wie möglich einen Brief schreiben und ihm über die Wiederauferstehung ihrer Mutter berichten.

ZWANZIG
    A m Ende der ersten Januarwoche kaufte Mary Fair Acres. Emmitt Waithe öffnete am Samstagnachmittag widerstrebend und mit düsterer Miene die Tür zu seinem Büro, und um fünf Uhr war der Vertrag unterzeichnet. Normalerweise hätte Emmitt eine Flasche Whiskey hervorgeholt, um auf den Abschluss anzustoßen, doch diesmal blieb der Wild Turkey in seinem Schreibtisch.
    Bereits am Montag wusste der ganze Ort Bescheid. Ollie und Charles Waithe kamen zum Gratulieren vorbei, Percy jedoch nicht. Ein Reporter der Gazette bat Mary um ein Interview, das sie ihm nur deshalb gewährte, weil er früher mit ihr in die Schule gegangen war und sich in der Welt des Journalismus etablieren wollte. Er habe vor, über die Rolle der modernen Frau in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft am Beispiel der jungen Herrin einer der größten Plantagen in Texas zu schreiben, erklärte er. Sonderlich modern fühlte Mary sich nicht, als sie das Foto sah, das den Artikel begleitete. Mit ihrem ernsten Gesicht, den gebauschten Ärmeln und dem hohen Kragen der Bluse sowie dem langen, von einer breiten Schleife zusammengehaltenen Haar wirkte sie sogar ausgesprochen altmodisch.
    Nach dem Erwerb von Fair Acres waren Marys Tage von der Morgen- bis lange nach Einsetzen der Abenddämmerung ausgefüllt. Sie musste nicht nur die Winterarbeiten in Somerset überwachen, sondern sich auch mit ihrem neuen Besitz vertraut machen. Mary fuhr mit dem Einspänner hinaus, um
alle Pächter von Fair Acres aufzusuchen, ihre Kinder kennenzulernen und unzählige Tassen Kaffee in ihren winzigen Behausungen zu trinken, die sie eines Tages durch Dreizimmerhütten mit eigener Küche zu ersetzen hoffte, wie Vernon Toliver sie für seine Pächter gebaut hatte. Mary inspizierte ihre neuen Felder, Zäune, Lagerschuppen, die Ausrüstung und das Herrenhaus, das Jarvis dabei war auszuräumen, bevor er im Februar nach Europa abreiste.
    Innere Unruhe und Müdigkeit waren ihre ständigen Begleiter. Die Sorge ging abends mit ihr zu Bett und wachte morgens mit ihr auf.
    Ihre Sehnsucht nach Percy, von dem sie nach wie vor nichts gehört hatte, überschattete ihre Tage. Den

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