Die Erben
habe ich sie mit deinen Beobachtungen konfrontiert und sie hat es sofort gestanden. Nachdem alles gesagt war bin ich in unsere Wohnung gefahren und habe mit zwei Freunden mein Zeug gepackt. Danach bin ich wieder hierhergekommen.“
Das war typisch für meinen Bruder.
Er war immer fair, er liebte seine Freunde und Familie, tat alles für andere, doch in dem Moment, in dem man ihn hinterging, belog oder respektlos behandelte, machte er einen geraden Schnitt.
Emotionslos, ruhig, vollkommen gefasst.
Er verlor ganz selten die Kontrolle über sich und wie er sein Leben mit Fiona noch letzte Nacht beendet hatte, war einfach nur ein Paradebeispiel für seine Kompromisslosigkeit.
Es hätte mich nicht gewundert, wenn er selbst die Telefongesellschaft und den Gasanbieter bereits über seinen Auszug informiert und alles auf Fiona hatte umschreiben lassen.
„Tut mir Leid“, sagte ich und ich meinte es so. „Sie ist ein Miststück, sie hat dich nicht verdient.“
„Vielleicht hat sie mich nicht verdient“, gab Thor zu. „Aber sie hat auch ein paar Dinge gesagt, die mir zu denken gegeben haben.“
„Und was?“
„Sie meinte, es sei schwer, mir gerecht zu werden“, erklärte er. „Sie hat es immer bewundert, wie viel ich für andere tue und dass ich sogar einen Beruf gewählt habe, indem ich selbstlos für andere da sein muss, während sie sich eben vor allem um sich selbst kümmert.“
Ich hob die Augenbrauen und nickte, doch mein Bruder schüttelte den Kopf. „Sie ist kein Egoist“, widersprach er meiner stummen Geste. „Sie kann eben nicht so gut mit den Gefühlen anderer Menschen umgehen und sie kümmert sich gerne um ihr Aussehen und dergleichen. Trotzdem hat sie mich nie gelangweilt. Sie konnte dafür toll mit Tieren umgehen und ich habe sie oft ermutigt ihren Job in der Kosmetikbranche aufzugeben und mit Tieren zu arbeiten, aber sie wollte eben nicht auf den Luxus verzichten, den sie dank ihres gutbezahlten Jobs hat.“
Er rieb sich die Stirn. „Sie mag nach außen oberflächlich gewirkt haben, aber das war sie nicht. Es hat sie im Übrigen auch sehr beschäftigt, dass du ihr gegenüber so feindselig warst. Glaub mir, es gab Momente, da hatte sie Tränen in den Augen, weil sie nicht verstand, wieso du sie so hasst.“
Mein Bruder stand auf und ging ans Fenster, um hinaus zu sehen. „Jedenfalls meinte sie, in den letzten Monaten habe sie immer mehr das Gefühl gehabt, mir nicht gerecht werden zu können, weil sie eben einen anderen Charakter hat als ich. Und Jason ist ihr ähnlicher.“ Er zuckte mit der Schulter. „Vielleicht wird sie mit ihm glücklicher und vielleicht habe ich ihr unbeabsichtigt das Gefühl gegeben, sie müsse wegen mir ein anderer Mensch werden. Ich weiß nur, dass ich sie geliebt habe und zwar genauso wie sie war. Aber mit dieser Lüge hat sie mir den Abschied trotz allem einfacher gemacht.“
Die Fähigkeit meines Bruders Problemen mit kühlem Kopf zu begegnen und einfach immer einer klaren Linie zu folgen war schlichtweg bewundernswert.
Er wäre sicher nicht so ausgetickt, wenn er erlebt hätte, was mir einen Tag zuvor passiert war.
Ich stand auf und legte meinen Kopf auf seinen Oberarm, um mit ihm zusammen schweigend aus dem Fenster zu sehen.
Auch wenn es mir nicht leicht fiel und ich es niemals laut gesagt hätte, aber ein bisschen konnte ich Fiona verstehen. Es war schwer, neben meinem Bruder zu existieren ohne sich zu fragen, wie man mit ihm mithalten sollte.
Trotzdem war sie ein Miststück, weil sie ihn betrogen hatte.
„Wohnst du dann jetzt wieder bei uns?“, wollte ich leise wissen und Thors Oberarm zitterte unter seinem unterdrückten Lachen.
„Ich arbeite seit diesem Monat nicht mehr Vollzeit im Jugendzentrum, weil ich parallel studiere“, meinte er amüsiert. „Von was glaubst du, soll ich mir alleine eine Wohnung leisten können?“
Ich sah mit einem Grinsen zu ihm. „Ach, gib doch einfach zu, dass du keinen Bock auf kochen hast und deine Schwester vermisst.“
Thor küsste mich auf die Stirn und drückte mich an sich, statt zu antworten.
Nach einer Weile räusperte er sich. „Ich werde jetzt joggen gehen. Das ist das Beste, um wieder runter zu kommen. Willst du mit?“ Er musste selbst grinsen.
„Klar, jogg du schon mal vor, ich komm‘ dann irgendwann nach“, meinte ich lachend und Thor tätschelte mir den Kopf, als er hinausging.
Es dauerte nicht lange, bis ich den Vorfall endgültig verdrängt hatte. Das lag natürlich auch daran, dass ich
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