Die Erbin
ein, was ihm ein paar Lacher einbrachte.
»Davon bin ich überzeugt«, meinte Jake. »Er und Buckley hätten eine Jury aus Ford County sicher sehr beeindruckt.«
Jake stellte Lettie der Gerichtsstenografin und den ande ren Anwälten vor, mit deren Namen und Gesichtern sie allein schon der bloßen Anzahl wegen heillos überfordert war. Dann erklärte er lange und ausführlich, wie die Zeugenaussage ablaufen würde. Die Anweisungen waren ziemlich simpel. Bitte sprechen Sie langsam und deutlich. Wenn Sie eine Frage nicht verstehen, bitten Sie darum, sie zu wiederholen. Wenn Sie sich nicht sicher sind, sagen Sie gar nichts. Er, Jake, werde Einspruch einlegen, falls eine Frage unzulässig sei. Und bitte sagen Sie die Wahrheit, da Sie unter Eid stehen. Die Anwälte werden sich mit ihren Fragen abwechseln. Wenn Sie eine Pause brauchen, sagen Sie das bitte. Die Gerichtsstenografin wird jedes Wort mitschreiben, und die Videokamera wird die gesamte Aussage aufzeichnen. Falls Sie aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sind, bei der Verhandlung auszusagen, wird man das Video als Beweis verwenden.
Die Anweisungen waren vorgeschrieben, aber nicht notwendig. Jake, Portia und Lucien hatten stundenlang im Konferenzraum der Kanzlei mit Lettie geübt. Sie war gut vorbereitet, doch bei der Protokollierung einer Zeugenaussage war unmöglich vorherzusagen, welche Fragen gestellt wurden. In einer Ver handlung mussten alle Zeugenaussagen zur Sache gehörig sein. Das war nicht der Fall, wenn eine Aussage lediglich zu Protokoll gegeben wurde, weshalb dabei häufig ins Blaue hinein gefragt wurde.
Seien Sie höflich. Fassen Sie sich kurz. Wenn Sie etwas nicht wissen, wissen Sie es nicht. Denken Sie daran, dass die Videokamera alles aufzeichnet. Ich werde direkt neben Ihnen sitzen, hatte Jake immer wieder gesagt. Portia war auf den Dachboden der Kanzlei gegangen und hatte dort Dutzende alter Zeugenaussagen gefunden, in die sie sich stundenlang vertieft hatte. Die formellen Anforderungen, die Strategien, die Fallstricke waren ihr klar. Sie und ihre Mutter hatten stundenlang auf der Veranda des neu gemieteten Hauses darüber geredet.
Lettie war so gut vorbereitet, wie es nur irgendwie ging. Nachdem sie von der Gerichtsstenografin vereidigt worden war, stellte sich Wade Lanier mit einem breiten Lächeln vor und begann die Befragung. »Fangen wir mit Ihrer Familie an«, sagte er. Na men, aktuelle Wohnorte, Geburtsdaten, Geburtsorte, Bildungs stand, Arbeitgeber, Kinder, Enkel, Eltern, Brüder, Schwestern, Cousinen, Tanten, Onkel. Portia hatte fleißig mit ihrer Mutter geübt, und die Antworten gingen Lettie flüssig über die Lippen. Lanier stutzte kurz, als ihm irgendwann klar wurde, dass Portia ihre Tochter war.
»Sie ist Praktikantin in meiner Kanzlei. Bezahlt«, erklärte Jake. Das sorgte für Bedenken am Tisch.
»Ist das denn nicht ein Interessenkonflikt für Sie, Jake?«, fragte Stillman Rush schließlich.
Jake hatte lange darüber nachgedacht. »Überhaupt nicht. Ich vertrete den Nachlass. Portia ist keine Begünstigte des Testaments. Ich sehe da keinen Interessenkonflikt. Sie etwa?«
»Wird sie als Zeugin vernommen werden?«, wollte Lester Chilcott wissen.
»Nein. Sie war die letzten sechs Jahre in der Army.«
»Hat sie Zugang zu bestimmten Informationen, die ihre Mut ter vielleicht nicht sehen sollte?«
»Als da wären?«
»Ich kann Ihnen jetzt kein Beispiel geben. Ich stelle lediglich Vermutungen an. Jake, ich sage ja nicht, dass hier ein Interessen konflikt vorliegt. Ich bin nur etwas überrascht.«
»Haben Sie Richter Atlee darüber informiert?«, fragte Wade Lanier.
»Das habe ich letzte Woche getan, und er hat es genehmigt.«
Ende der Diskussion. Wade Lanier machte mit Letties Eltern und Großeltern weiter. Seine Fragen waren harmlos, richtiggehend alltäglich, als würde es ihn wirklich interessieren, wo ihre Großeltern mütterlicherseits einmal gewohnt und womit sie sich ihren Unterhalt verdient hatten. Nach einer Stunde musste Jake aufpassen, dass er nicht in Tagträume verfiel. Es war wichtig, dass er sich Notizen machte, für den Fall, dass sich Stunden später ein anderer Anwalt unerwartet auf dasselbe Terrain wagte.
Zurück zu Lettie. 1959 hatte sie ihren Highschool-Abschluss in Hamilton, Alabama, gemacht, noch an einer der alten Schu len für Farbige. Dann lief sie von zu Hause weg, nach Memphis, wo sie Simeon kennenlernte. Sie heirateten auf der Stelle, und im Jahr darauf wurde Marvis geboren.
Wade Lanier
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