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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Tagen Weihnachten war und er noch kein einziges Mal daran gedacht hatte, Geschenke zu kaufen, jedenfalls nicht bis jetzt. Während Wade Lanier die Befragung fortsetzte, mit einer Stimme, die so tief und rau war, dass sie wie ein Schlafmittel wirkte, erwischte Jake sich dabei, wie seine Gedanken abschweiften. In den letz ten zwei Jahren war es ihnen schwergefallen, das gemietete Haus für die Feiertage zu dekorieren. Hanna war ihnen dabei eine große Hilfe. Ein Kind im Haus sorgte dafür, dass man nicht den Mut verlor.
    Lanier sprach gerade ein heikles Thema an. Langsam und geschickt erkundigte er sich nach Letties Pflichten im Haus, als Mr. Hubbard während der Chemotherapie und der Bestrahlungen krank und bettlägerig gewesen war. Lettie erklärte, dass ein Pflegedienst Krankenschwestern geschickt habe, um sich um ihn zu kümmern, diese Frauen aber nicht gut, nicht rücksichtsvoll genug gewesen seien. Zudem sei Mr. Hubbard sehr unhöflich gewesen. Sie mache ihm deshalb keinen Vorwurf. Er habe die Krankenschwestern vergrault und sich mit dem Pflege dienst gestritten. Schließlich übernahm Lettie seine Pflege. Sie kochte, was er wollte, und fütterte ihn, wenn er Hilfe brauchte. Sie half ihm aus dem Bett und ins Bad, wo er manchmal eine halbe Stunde lang auf der Toilette saß. Manchmal passierte ihm ein Malheur, dann wechselte sie die Bettwäsche. Mehrmals musste er eine Bettpfanne benützen, wobei Lettie ihm half. Nein, es sei keine angenehme Arbeit gewesen, sagte sie, und sie sei auch nicht dafür ausgebildet, aber sie habe es hinbekommen. Er sei dankbar dafür gewesen. Er habe ihr vertraut. Ja, sie habe Mr. Hubbard mehrmals in seinem Bett liegend gewaschen. Ja, sie habe ihn am ganzen Körper gewaschen, überall berührt. Er sei so krank und kaum einmal wach gewesen. Später, als die Chemotherapie und die Bestrahlungen für eine Weile aufhörten, sei er wieder zu Kräften gekommen und habe so bald wie möglich wieder angefangen herumzulaufen. Er sei mit erstaunlicher Zielstrebigkeit wieder auf die Beine gekommen. Nein, er habe nie zu rauchen aufgehört.
    Ein intimes Verhältnis kann unseren Fall ruinieren, hatte Jake Portia unmissverständlich erklärt, was dann über die Toch ter etwas abgemildert bei der Mutter ankam. Wenn die Geschwo renen glaubten, Lettie wäre mit Seth Hubbard zu vertraut gewe sen, würden sie eher urteilen, dass sie ihn auf unzulässige Weise beeinflusst hatte.
    Habe Mr. Hubbard einen herzlichen Umgang mit ihr gepflegt? Sei er jemand gewesen, der einen umarmte, Küsschen auf die Wange verteilte, auch mal einen Klaps auf den Po gab? Ganz und gar nicht, sagte Lettie. Nie. Ihr Boss sei ein gänzlich unsentimentaler Mann gewesen, der für sich geblieben sei. Er habe wenig Geduld mit anderen gehabt und wenige Freunde gebraucht. Er habe ihr nicht die Hand gegeben, wenn sie morgens zur Arbeit gekommen sei, und nicht einmal die Andeu tung einer Umarmung gemacht, wenn er sich verabschiedet habe. Sie sei seine Angestellte gewesen, mehr nicht: keine Freundin, keine Vertraute, keine sonst was. Er sei höflich gewesen und habe sich bei ihr bedankt, wenn es angebracht gewesen sei, aber er habe nie viele Worte gemacht.
    Weder über seine geschäftlichen noch seine privaten Angelegenheiten wisse sie etwas. Er habe nie über Frauen gesprochen, und sie habe auch nie eine in seinem Haus gesehen. Ge nau genommen könne sie sich nicht daran erinnern, dass er jemals von Freunden oder Geschäftspartnern in seinem Haus besucht worden sei, nicht in den drei Jahren, in denen sie für ihn gearbeitet habe.
    Perfekt, gratulierte sich Jake im Stillen.
    Schlechte Anwälte versuchten, Zeugen hinters Licht zu führen, sie auf irgendetwas festzunageln oder zu verwirren, damit sie bei der Befragung der Sieger waren. Gute Anwälte gewannen lieber den Prozess und nutzten die Befragung der Zeugen, um Informationen herauszufinden, die sie später zum Fallen stellen verwenden konnten. Und richtig gute Anwälte hielten sich nicht mit den Zeugenaussagen auf, sondern sorgten vor den Geschworenen für Überraschungen. Wade Lanier und Stillman Rush waren gute Anwälte, die den ersten Tag damit verbrachten, Daten zu sammeln. In den acht Stunden der Befragung fiel kein einziges böses Wort, und kein einziges Mal ließ man den Respekt vor der Zeugin vermissen.
    Jake war beeindruckt von seinen Gegnern. Später, in der Kanzlei, erklärte er Lettie und Portia, dass sowohl Lanier als auch Rush im Grunde genommen schauspielerten. Sie taten so,

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