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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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weiter.«
    »Jake, das könnte von entscheidender Bedeutung sein, weil es ein Motiv liefert. Die große Frage ist: warum? Wenn wir die beantworten können, gewinnen Sie den Prozess vielleicht. Andernfalls geht es in die Hose.«
    »Das denken Sie, Lucien. Soweit ich mich erinnern kann, war das ja auch Ihr allgemeiner Eindruck kurz vor dem Hailey-Prozess.«
    »Je früher Sie diesen Prozess vergessen, desto eher werden Sie ein besserer Anwalt.«
    Jake lächelte und stand auf. »Es gibt Dinge, die kann man nicht vergessen, Lucien. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mit meiner Tochter einkaufen gehen. Frohe Weihnachten.«
    »Alles Humbug.«
    »Kommen Sie zum Abendessen zu uns rüber?«
    »Alles Humbug.«
    »Das habe ich mir schon gedacht. Wir sehen uns am Montag.«
    Simeon Lang kam an Heiligabend nach Hause, kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Er war über zwei Wochen unterwegs gewesen und bis nach Oregon gekommen, in einem Sattelschlepper mit sechs Tonnen gestohlener Haushaltsgeräte. Er hatte die Taschen voller Geld, Liebe im Herzen, ein Weihnachtslied auf den Lippen und eine schöne Flasche Bourbon unter dem Beifahrersitz versteckt. Zurzeit war er stocknüchtern, und er nahm sich fest vor, Weihnachten nicht mit Alkohol zu ruinieren. Alles in allem war Simeon recht gut gelaunt, zumindest so lange, bis er vor dem ehemaligen Haus der Sappingtons anhielt. Er zählte sieben Autos, die kreuz und quer in der Einfahrt und auf dem Rasen des Vorgartens geparkt waren. Drei davon kamen ihm bekannt vor, bei den anderen war er nicht sicher. Mitten im Refrain hörte er mit »Jingle Bells« auf und hätte am liebsten laut geflucht. In sämtlichen Zimmern des Hauses brannte Licht, und alles deutete darauf hin, dass es voller Leute war.
    Lettie zu heiraten hatte den Vorteil gehabt, dass ihre Familie weit weg wohnte, drüben in Alabama. In Ford County hatte sie keine Verwandten. Auf seiner Seite gab es zu viele, und sie machten alle Ärger, aber von ihren Leuten ließ er sich nicht kritisieren, jedenfalls nicht am Anfang ihrer Ehe. Insgeheim hatte er sich gefreut, als sie mit dreißig Jahren erfahren hatte, dass Cypress und Clyde Tayber gar nicht ihre richtigen Eltern und deren sechs Kinder nicht ihre Geschwister waren. Aber mit der Freude war es schnell wieder vorbei gewesen, da Lettie einfach so weitergemacht hatte, als wären sie ihre Blutsverwandten gewesen. Clyde starb, die Kinder zogen aus, und Cypress brauchte eine neue Wohnung. Sie zog zu ihnen, vorübergehend, und fünf Jahre später war sie immer noch da, dicker und hilfsbedürftiger als jemals zuvor. Die Brüder und Schwestern kehrten zurück, mit ausgestreckter Hand und ihrer Brut im Schlepptau.
    Fairerweise musste man sagen, dass auch ein paar Langs da drin waren. Vor allem eine seiner Schwägerinnen war zu einer richtigen Plage geworden. Sie hatte keine Arbeit und brauchte einen Kredit, vorzugsweise gegen ein mündliches Versprechen, mit dem man nichts anfangen konnte. Simeon hätte fast zur Flasche gegriffen, doch er widerstand der Versuchung und stieg aus dem Pick-up.
    Überall rannten Kinder herum. Im Kamin brannte ein Feuer, die Küche war voller Frauen, die kochten, und Männer, die das Gekochte probierten. Fast alle freuten sich, ihn zu sehen, oder schafften es, so zu tun. Lettie lächelte, sie umarmten sich. Er hatte am Tag zuvor aus Kansas angerufen und versprochen, pünktlich zum Abendessen zu Hause zu sein. Sie gab ihm ein Küsschen auf die Wange, um herauszufinden, ob er getrunken hatte, und als er den Test bestand, war ihr die Erleichterung dar über anzumerken. Soviel sie wusste, war kein Tropfen Alkohol im Haus, und sie wollte unbedingt, dass das auch so blieb. Im Wohnzimmer umarmte Simeon seine Kinder Portia, Phedra, Clarice und Kirk und seine beiden Enkel. Von oben dröhnte aus einem Gettoblaster »Rudolph, the Red-Nosed Reindeer« zu ihnen herunter, und im Flur schoben drei kleine Jungen in einem halsbrecherischen Tempo Cypress im Rollstuhl hin und her. Vor den auf volle Lautstärke gedrehten Fernsehgeräten saßen Teenager und starrten auf die Mattscheibe.
    Das alte Haus bebte fast vor ungezügelter Energie, und nach ein paar Minuten hatte Simeon sich wieder beruhigt. Mit der Einsamkeit der Landstraße war es vorbei, aber schließlich war Heiligabend, und er war im Kreise seiner Familie. Sicher, ein Großteil der zur Schau getragenen Liebe und Wärme beruhte auf Gier und dem Wunsch, Lettie nahe zu sein, aber Simeon ließ es dabei bewenden.

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