Die Erbin
Innenstadt von Memphis würde fast eine Million bringen, aber das ist schließlich ein ganzes Stück von hier weg. Für zweihundertfünfzigtausend ist es fast geschenkt, aber man kann den Markt nicht einfach ignorieren. Wenn ich es für eine halbe Million annoncieren würde, würde es Moos ansetzen, bis jemand es kauft. Ehrlich gesagt möchte ich nur das zurückbekommen, was ich reingesteckt habe.«
Jake und Carla starrten sich fassungslos an, weil es nichts zu sagen gab, jedenfalls nicht im Moment. »Sehen Sie sich doch ein bisschen um«, schlug Willie vor, ganz Geschäftsmann. »Die anderen kommen um 18.30 Uhr.« Er füllte ihre Gläser auf und führte sie auf die Veranda hinaus. Nachdem die Besichtigung begonnen hatte, wusste Jake, dass es kein Zurück mehr gab.
Willie zufolge war das Haus um 1900 von Dr. Miles Hocutt gebaut worden, einem bekannten Arzt, der über Jahrzehnte in Clanton praktiziert hatte. Es war im klassischen viktorianischen Stil errichtet worden, mit zwei steilen Giebeldächern, einem Türmchen, das sich über vier Stockwerke erstreckte, und breiten, überdachten Veranden, die sich auf beiden Seiten um das Haus zogen.
Jake musste zugeben, dass der Kaufpreis nicht überzogen war. Er lag außerhalb seiner Möglichkeiten, aber es hätte viel schlimmer sein können. Jake vermutete, dass Harry Rex Willie geraten hatte, vernünftig zu sein, vor allem, wenn er wollte, dass die Brigances das Haus bekamen. Harry Rex zufolge ging das Gerücht um, dass Willie eine Menge Geld an der Börse verdient habe. Einem anderen Gerücht zufolge hatte er auf dem Immobilienmarkt in Memphis eine große Summe verloren, und wieder ein anderes Gerücht besagte, dass er von seiner Großmutter BeBe ein Vermögen geerbt habe. Wer wusste schon, was stimmte. Aber der Preis schien darauf hinzudeuten, dass er in Geldschwierigkeiten steckte. Willie wusste, dass Jake und Carla ein neues Haus brauchten. Er wusste, dass sie gegen ihre Versicherung prozessierten. Und er wusste auch (vermutlich von Harry Rex), dass Jake im Fall Hubbard gute Aussichten darauf hatte, ein großzügiges Honorar zu erhalten. Während Willie unaufhörlich plauderte und Carla über das Parkett aus dunkel gebeiztem Kiefernkernholz, durch die moderne Küche und die Wendeltreppe hinauf nach oben bis in das runde Lesezimmer in der vierten Ebene des Türmchens führte, von wo man die Kirchtürme einige Straßen weiter sehen konnte, trottete Jake ihnen brav hinterher und fragte sich, wie um alles in der Welt sie es sich leisten sollten, das Haus zu kaufen, geschweige denn, es zu möblieren.
25
Für alle, die Seth Hubbards handschriftliches Testament anfoch ten, kam Weihnachten etwas später. Am 16. Januar, um genau zu sein.
Ein Privatdetektiv, der für Wade Lanier arbeitete, war auf eine Goldgrube gestoßen. Er hieß Randall Clapp und machte endlich einen potenziellen Zeugen namens Fritz Pickering ausfindig, der in der Nähe von Shreveport, Louisiana, lebte. Clapp, Wade Laniers bester Privatdetektiv, hatte eine gut trainierte Nase für das Ausgraben von Informationen. Pickering kümmerte sich nicht um anderer Leute Angelegenheiten und hatte keine Ahnung, was Clapp von ihm wollte. Aber er war neugierig, daher ließ er sich zum Mittagessen in einem Deli einladen.
Clapp war gerade dabei, Lettie Langs ehemalige Arbeitge ber zu befragen, fast alle wohlhabende weiße Hausbesitzer, die es gewohnt waren, schwarzes Hauspersonal zu haben. In ihrer Zeugenaussage hatte Lettie so viele dieser Namen angegeben, wie ihr eingefallen waren, jedenfalls hatte sie das zu Protokoll gegeben. Sie hatte aber auch klipp und klar gesagt, dass es in den letzten dreißig Jahren vielleicht noch ein oder zwei andere gegeben habe. Sie führe nicht Buch darüber, das täten die meisten Haushälterinnen nicht. Allerdings hatte sie nicht erwähnt, dass sie für Irene Pickering gearbeitet hatte. Der Name tauchte auf, als Clapp einen ihrer anderen ehemaligen Arbeitgeber befragte.
Lettie hatte nie länger als sechs Jahre für jemanden gearbeitet. Dafür gab es verschiedene Gründe, aber keiner davon hatte etwas mit Unfähigkeit ihrerseits zu tun. Ganz im Gegenteil. Fast alle ihrer ehemaligen Arbeitgeber lobten sie in den höchsten Tönen.
Bei Pickering sollte das anders sein. Während er Suppe und Salat vor sich stehen hatte, erzählte er seine Geschichte. Vor etwa zehn Jahren, entweder 1978 oder 1979, war Lettie Lang von seiner verwitweten Mutter, Irene Pickering, eingestellt worden, weil sie
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