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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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wüsste, dass seine Familie den alten Hubbard vertreten und verloren hat.«
    »Jake, bitte. Sie wissen, dass Lucien seine Familie und ihre Geschichte hasst.«
    »Ja, aber gegen das Familienvermögen hatte er nichts einzuwenden. Ich würde es ihm sagen.«
    »Glauben Sie, dass es in der Kanzlei der Wilbanks noch alte Unterlagen gibt?«
    Jake stöhnte, musste dann aber lächeln. »Ich bezweifle, dass sie sechzig Jahre zurückreichen. Auf dem Dachboden liegt eine Menge rum, aber so alt ist nichts davon. Anwälte werfen grundsätzlich nichts weg, aber im Laufe der Zeit verschwinden immer mal wieder ein paar Dokumente.«
    »Kann ich mir den Dachboden ansehen?«
    »Ich habe nichts dagegen. Nach was suchen Sie?«
    »Nach der Akte, nach irgendetwas, das mir einen Hinweis liefern könnte. Es ist ziemlich sicher, dass es wegen der dreißig Hektar Streit gegeben hat, aber was steckte dahinter? Und was ist mit der Klage passiert? Wie konnte ein Schwarzer in den 1920ern in Mississippi einen Prozess gewinnen, in dem es um ein Stück Land ging? Denken Sie doch mal drüber nach, Jake. Ein weißer Landbesitzer beauftragt die größte Anwaltskanzlei in der Stadt, die über Macht und Beziehungen verfügt, einen armen Schwarzen wegen eines Liegenschaftsstreits zu verklagen. Und der Schwarze gewinnt. Jedenfalls sieht es so aus.«
    »Vielleicht hat er ja gar nicht gewonnen. Vielleicht war die Klage noch anhängig, als Sylvester starb.«
    »Genau das ist es, Jake. Das muss ich herausfinden.«
    »Viel Glück. Ich würde Lucien alles erzählen und ihn um Hilfe bitten. Er wird seine Vorfahren verfluchen, aber das tut er so wieso fast jeden Tag noch vor dem Frühstück. Er wird schon darüber hinwegkommen. Seine Ahnen haben weitaus Schlimmeres angerichtet.«
    »Großartig. Ich sag’s ihm, und dann fange ich heute Nachmittag damit an, den Dachboden zu durchsuchen.«
    »Nehmen Sie sich in Acht. Ich gehe einmal im Jahr da hoch, aber nur, wenn es unbedingt sein muss. Ich bezweifle ernsthaft, dass Sie etwas finden werden.«
    »Das werden wir ja sehen.«
    Lucien trug es mit Fassung. Er ließ sich mit einer der üblichen, mit wüsten Schimpfwörtern gespickten Tiraden über seine Herkunft aus, schien aber durch die Tatsache besänftigt zu werden, dass sein Großvater die Klage gegen Sylvester Rinds verloren hatte. Ohne dass ihn jemand dazu aufgefordert hätte, fing er an, in seine Familiengeschichte abzutauchen, und erklärte Portia und – im Laufe des Nachmittags manchmal auch Jake –, dass Robert E. Lee Wilbanks kurz nach dem Bürgerkrieg geboren worden und die meiste Zeit seines Lebens in dem Glauben gewesen sei, die Sklaverei werde zurückkommen. Der Familie gelang es, die Spekulanten aus dem Norden von ihrem Land fernzuhalten, und Robert – das musste man ihm lassen – schaffte es, eine Dynastie aufzubauen, die Banken, Eisenbahnen, Politik und eine Anwaltskanzlei umfasste. Er war ein schroffer, unangenehmer Mensch gewesen, und als Kind hatte Lucien sich vor ihm gefürchtet. Aber auch dem Teufel musste man sein Recht lassen. Das stattliche Haus, das Lucien jetzt sein Eigen nannte, war von seinem lieben alten Großvater gebaut und in der Familie weitervererbt worden.
    Nach Stunden gingen sie zusammen auf den Dachboden und vergruben sich noch tiefer in die Geschichte von Luciens Familie. Jake beteiligte sich eine Weile an der Suche, aber bald wurde ihm klar, dass es Zeitverschwendung war. Die Akten gingen bis 1965 zurück, das Jahr, in dem Lucien die Kanzlei geerbt hatte, nachdem sein Vater und sein Onkel bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Irgendjemand, vermutlich Ethel Twitty, die legendäre Sekretärin, hatte aufgeräumt und alle älteren Aufzeichnungen entsorgt.

35
    Zwei Wochen vor dem offiziellen Beginn des Krieges kamen die Anwälte und ihre Mitarbeiter im großen Gerichtssaal zu einer Vorverhandlung zusammen. Solche Treffen waren früher gänzlich unbekannt gewesen, doch nach den moderneren Regeln der Kriegsführung vorgeschrieben. Anwälte wie Wade Lanier, die andauernd zivilrechtliche Klagen vertraten, kannten sich mit den Strategien und Nuancen von Vorverhandlungen aus. Jake weniger. Reuben Atlee hatte noch nie den Vorsitz bei einer Vorverhandlung geführt, obwohl er das natürlich nicht zugegeben hätte. Für ihn und seinen Chancery Court war ein großer Prozess dasselbe wie eine hässliche Scheidung, bei der es um viel Geld ging. Solche Scheidungen waren selten, und er wickelte sie auf die gleiche Art und Weise

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