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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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lächelte sie an, ein Zeichen, dass sie ebenfalls lächeln sollte.
    In dem überfüllten Saal wurde es still, als Jake ans Rednerpult trat. Er fragte sie nach Namen, Anschrift, Arbeitgeber – ein Kinderspiel, das sie mühelos absolvierte. Die Namen ihrer Kinder und Enkel. Ja, Marvis, ihr Ältester saß im Gefängnis. Ihr Ehemann war Simeon Lang, gegenwärtig in Haft, wo er darauf wartete, dass ihm der Prozess gemacht wurde. Sie hatte vor einem Monat die Scheidung eingereicht und rechnete damit, dass sie in einigen Wochen rechtskräftig wurde. Ein paar Hintergrundfragen – Schulbildung, Kirchengemeinde, frühere Be schäftigungsverhältnisse. Das lief alles nach Drehbuch und klang gelegentlich einstudiert, ja geradezu auswendig gelernt – was es auch war. Lettie warf einen Blick auf die Geschworenen und stellte zu ihrem Entsetzen fest, dass diese sie ihrerseits nicht aus den Augen ließen. Ihr war eingebläut worden, Portia anzusehen, wenn sie nervös wurde. Manchmal konnte sie den Blick nicht von ihrer Tochter wenden.
    Schließlich kam Jake auf Mr. Seth Hubbard zu sprechen. Oder einfach nur Mr. Hubbard, wie sie ihn vor Gericht zu nennen hatte. Auf keinen Fall Seth. Erst recht nicht Mr. Seth. Mr. Hubbard hatte sie vor drei Jahren als Haushälterin in Teilzeit eingestellt. Wie sie von der Stelle erfahren hatte? Gar nicht. Er hatte sie angerufen und sich auf eine Freundin bezogen, die angeblich gewusst hatte, dass sie Arbeit suchte. Zufällig brauchte er jemanden, der ihm den Haushalt führte. Sie schilderte ihr Leben bei Mr. Hubbard, seine Regeln, Gewohnheiten, Rou tinen und, später, seine Lieblingsgerichte. Aus drei Tagen pro Woche wurden vier. Er gab ihr eine Lohnerhöhung, dann noch eine. Er war oft unterwegs, und häufig war im Haus nicht viel zu tun. In den drei Jahren hatte er nicht ein einziges Mal eine Party gegeben oder jemanden zum Essen eingeladen. Sie kannte Herschel und Ramona, sah sie aber nicht oft. Ramona kam einmal im Jahr zu Besuch und blieb ein paar Stunden, Herschel nicht viel öfter. Mr. Hubbards vier Enkeln war sie nie begegnet.
    »An den Wochenenden hatte ich frei, deshalb weiß ich nicht, wer da kam«, sagte sie. »Da hätte jeder bei Mr. Hubbard sein können.« Sie versuchte, fair zu sein, doch nur im Rahmen.
    »Aber Sie haben montags gearbeitet?«, fragte Jake drehbuchgemäß.
    »Das stimmt.«
    »Und haben Sie je Hinweise darauf gesehen, dass über das Wochenende Besuch im Haus gewesen wäre?«
    »Nein, nie.«
    Herschel und Ramona zu schonen gehörte nicht zu ihrem Plan. Die beiden hatten bestimmt nicht vor, Lettie zu schonen, im Gegenteil. Ihren protokollierten Zeugenaussagen nach zu urteilen würden sie es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen.
    Nach einer Stunde im Zeugenstand fühlte sich Lettie etwas besser. Ihre Antworten wurden klarer, spontaner, und sie lächelte die Geschworenen manchmal sogar an. Schließlich kam Jake auf Mr. Hubbards Lungenkrebs zu sprechen. Sie beschrieb, wie sich ihr Arbeitgeber mit einer inkompetenten Pflegerin nach der anderen herumschlug und schließlich Lettie fragte, ob sie fünf Tage pro Woche arbeiten könne. Sie schilderte die Tiefpunkte, wenn ihn die Chemotherapie umwarf und fast umbrachte, wenn er nicht einmal zur Toilette gehen oder allein essen konnte.
    Keine Gefühle zeigen, hatte Portia ihr eingetrichtert. Du darfst keinerlei Gefühle für Mr. Hubbard zeigen. Die Geschworenen dürfen nicht den Eindruck bekommen, dass zwischen euch eine emotionale Beziehung bestand. Natürlich gab es die, wie zwischen jedem Sterbenden und der Person, die ihn betreut, aber das darfst du im Zeugenstand nicht zugeben.
    Jake hakte die wichtigsten Punkte ab, hielt sich aber nicht allzu lang mit Mr. Hubbards Krebserkrankung auf. Das würde Wade Lanier übernehmen. Jake fragte Lettie, ob sie je ein Testament gemacht hatte. Nein, das hatte sie nicht.
    »Haben Sie je ein Testament gesehen?«
    »Nein.«
    »Hat Mr. Hubbard je mit Ihnen über sein Testament ge sprochen?«
    Sie lachte in sich hinein und ließ es sehr natürlich wirken. »Mr. Hubbard war sehr diskret. Er hat nie geschäftliche Angelegenheiten oder etwas in der Art mit mir besprochen. Er hat nie über seine Familie oder seine Kinder oder so geredet. Das war einfach nicht seine Art.«
    Tatsächlich hatte Seth Lettie zweimal versprochen, ihr etwas zu hinterlassen, aber sein Testament hatte er nie erwähnt. Sie hatte mit Portia darüber geredet, und die war davon überzeugt, dass Wade Lanier und die Anwälte

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