Die Erbin
auf.«
»Wen?«, platzte Jake heraus.
»Fritz Pickering«, wiederholte Lanier laut und sarkastisch, als wäre Jake taub.
»Von diesem Mann habe ich nie gehört. Er steht nicht auf Ihrer Zeugenliste.«
»Er ist draußen in der Rotunde«, sagte Lanier zu einem Gerichtsdiener, »und wartet.«
Jake sah Richter Atlee an und schüttelte den Kopf. »Wenn er nicht auf der Zeugenliste steht, kann er nicht aussagen.«
»Ich rufe ihn trotzdem auf«, sagte Lanier.
Fritz Pickering betrat den Sitzungssaal und folgte dem Gerichtsdiener zum Zeugenstand.
»Einspruch, Euer Ehren«, sagte Jake.
Richter Atlee nahm seine Lesebrille ab und warf Wade Lanier einen wütenden Blick zu. »Also«, sagte er, »die Verhandlung wird für fünfzehn Minuten unterbrochen. Ich möchte die Anwälte bei mir im Richterzimmer sehen. Nur die Anwälte. Keine Assistenten oder Mitarbeiter.«
Die Geschworenen wurden eilig aus dem Sitzungssaal ge bracht, während die Anwälte dem Richter in den Gang hinter dem Saal und zu seinem schmalen Zimmer folgten. Er nahm seine Robe nicht ab, setzte sich jedoch und sah ebenso verwirrt drein wie Jake.
»Reden Sie«, sagte er zu Lanier.
»Euer Ehren, hier geht es nicht um einen Zeugenbeweis, daher musste der Zeuge der Gegenseite auch nicht genannt werden. Wir bieten ihn auf, um die Glaubwürdigkeit einer anderen Zeugin zu erschüttern, nicht um seine Aussage als Beweis zu verwenden. Ich musste ihn weder auf die Liste setzen noch seinen Namen bekannt geben, weil nicht klar war, ob er jemals aufgerufen werden würde. Angesichts der Aussage von Lettie Lang und ihrer Unfähigkeit, bei der Wahrheit zu bleiben, ist dieser Zeuge plötzlich von zentraler Bedeutung für unsere Sache.«
Richter Atlee atmete deutlich vernehmbar aus, während die anwesenden Anwälte im Geiste die Bestimmungen für die Beweisaufnahme und die Zivilprozessordnung Revue passieren ließen. Im Augenblick bestanden wenig Zweifel daran, dass Lanier genau wusste, welche Regeln für die Anzweiflung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen galten. Es war ein Hinterhalt, den er und Lester Chilcott perfekt vorbereitet hatten. Jake hätte sie gern mit einem stichhaltigen, treffenden Argument außer Gefecht gesetzt, aber in diesem Moment fiel ihm beim besten Willen nichts Brillantes ein.
»Was wird der Zeuge aussagen?«, fragte Richter Atlee.
»Lettie Lang hat einmal für seine Mutter gearbeitet, Mrs. Irene Pickering. Fritz und seine Schwester haben Lettie Lang ent lassen, als sie ein handschriftliches Testament fanden, in dem Mrs. Pickering Mrs. Lang fünfzigtausend Dollar in bar vermachte. Sie hat soeben mindestens dreimal gelogen. Erstens hat sie behauptet, in den vergangenen zwanzig Jahren nur für die von ihr genannten Personen gearbeitet zu haben. Mrs. Pickering stellte sie 1978 ein, entlassen wurde sie 1980. Zweitens ist ihr als Haushälterin sehr wohl gekündigt worden. Drittens hat sie angeblich nie ein Testament zu Gesicht bekommen. Fritz Pickering und seine Schwester haben ihr das handschriftliche Testament am Tag ihrer Entlassung gezeigt. Möglicherweise gab es noch ein oder zwei andere Unwahrheiten, ich habe im Augenblick nicht alle präsent.«
Jake ließ die Schultern hängen, sein Magen rebellierte, vor seinen Augen verschwamm alles, und die Farbe wich aus seinem Gesicht. Er musste unbedingt etwas Intelligentes von sich geben, aber sein Kopf war völlig leer. Dann hatte er einen Geistesblitz.
»Seit wann wissen Sie von Fritz Pickering?«, fragte er.
»Ich sehe ihn heute zum ersten Mal«, erwiderte Lanier selbstgefällig.
»Das war nicht meine Frage. Wann haben Sie von den Pickerings erfahren?«
»Während der Offenlegung. Wir arbeiten einfach besser als Sie, Brigance. Wir haben mehr Zeugen ausfindig gemacht. Wir haben überall auf den Busch geklopft und uns richtig ins Zeug gelegt. Keine Ahnung, was Sie getrieben haben.«
»Laut Zivilprozessordnung müssen Sie die Namen Ihrer Zeugen bekannt geben. Vor zwei Wochen haben Sie mir eine Liste mit fünfundvierzig neuen Namen auf den Tisch geknallt. Sie halten sich nicht an die Regeln, Lanier. Euer Ehren, das ist ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen.«
Richter Atlee hob die Hand. »Das reicht. Geben Sie mir einen Augenblick zum Nachdenken.«
Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch, nahm eine von einem Dutzend Pfeifen vom Ständer, stopfte sie mit Sir Walter Raleigh, zündete sie an, blies eine dicke Rauchwolke in Richtung Decke und vertiefte sich in seine Gedanken. Auf der einen Seite
Weitere Kostenlose Bücher