Die Erbin
viele, weiß ich nicht, da ich sie schon länger nicht mehr gesehen habe.‹ Ende des Zitats.«
Jake legte das Testament wieder auf den Tisch. »Wie alt ist Will?«
»Vierzehn?«
»Und Leigh Ann?«
»Zwölf.«
»Ihr letztes Kind wurde also vor zwölf Jahren geboren?«
»Ja, das stimmt.«
»Und Ihr eigener Vater wusste nicht, ob Sie noch weitere Kinder bekommen hatten?«
»Auf das Testament können Sie nichts geben, Mr. Brigance. Mein Vater war nicht mehr er selbst, als er das schrieb.«
»Darüber werden die Geschworenen entscheiden.« Jake setzte sich und bekam einen Zettel von Quince Lundy: Brillant. Die ist erledigt.
An diesem Punkt der Verhandlung, seiner Karriere, ja seines Lebens überhaupt konnte Jake jede Aufmunterung gebrauchen. Er beugte sich vor und flüsterte: »Danke.«
Wade Lanier erhob sich. »Euer Ehren, die das Testament an fechtenden Parteien rufen Mr. Ian Dafoe auf, den Ehemann von Ramona Hubbard.«
Ian schlich zum Zeugenstand, wo er mit Sicherheit ebenfalls auswendig gelernte, frei erfundene Erinnerungen zum Besten geben sollte. Als er mitten in seiner Aussage war, schob Quince Lundy Jake einen weiteren Zettel zu. Die geben sich viel zu viel Mühe, die Geschworenen zu überzeugen. Glaube nicht, dass das klappt.
Jake nickte, während er nach einem Ansatzpunkt Ausschau hielt, einem unbedachten Wort, das er packen und gegen den Zeugen verwenden konnte. Nach der überzogenen Dramatik seiner Frau wirkte Ian harmlos und langweilig. Die Antworten waren häufig dieselben, aber ohne die Emotionen.
Aus verschiedenen Quellen und über dunkle Kanäle hat ten Jake, Harry Rex und Lucien in Erfahrung gebracht, dass Ian Dreck am Stecken hatte. Seine Ehe kriselte seit geraumer Zeit. Er hielt sich häufig von zu Hause fern, angeblich aus geschäftlichen Gründen, und war ein notorischer Schürzenjäger. Seine Frau trank zu viel. Einige seiner Geschäfte waren höchst wackelig.
»Sie bezeichnen sich selbst als Bauunternehmer, richtig?«, lautete Jakes erste Frage im Kreuzverhör.
»Das ist richtig.«
»Sind Sie Inhaber oder Anteilseigner einer Firma namens KLD Biloxi Group?«
»Ja.«
»Und versucht dieses Unternehmen, die Gulf Coast Mall in Biloxi, Mississippi, zu renovieren?«
»Ja.«
»Würden Sie sagen, dass dieses Unternehmen finanziell ge sund ist?«
»Das kommt darauf an, wie Sie ›finanziell gesund‹ definieren.«
»Gut, definieren wir es folgendermaßen: Wurde Ihre Firma, die KLD Biloxi Group, vor zwei Monaten von der First Gulf Bank verklagt, weil sie einen Kredit von zwei Millionen Dollar nicht zurückgezahlt hat?« Jake wedelte mit mehreren von einer Büroklammer zusammengehaltenen Papieren. Er hatte den Beweis dafür.
»Ja, aber das ist längst nicht die ganze Geschichte.«
»Mehr will ich gar nicht wissen. Wurde Ihr Unternehmen zudem vergangenen Monat von einer Bank aus New Orleans namens Picayune Trust auf 2,6 Millionen Dollar verklagt?«
Ian holte tief Luft. »Ja, aber die Verfahren laufen noch, und wir haben Widerklage eingereicht.«
»Danke. Das ist alles.«
Ian verließ den Zeugenstand um 16.45 Uhr, und für einen Augenblick erwog Richter Atlee, die Verhandlung bis Donnerstagmorgen zu unterbrechen.
Wade Lanier half ihm bei der Entscheidungsfindung. »Euer Ehren, wir haben noch eine Zeugin, deren Aussage nicht lange dauern wird.«
Hätte Jake auch nur im Entferntesten geahnt, was nun folgen sollte, hätte er Ian länger hingehalten, auf Zeit gespielt, und wäre so einer weiteren Überraschung zumindest bis zum nächsten Tag aus dem Weg gegangen. Wie sich herausstellte, sollten die Geschworenen den Saal an diesem Abend mit einer noch schlechteren Meinung von Seth Hubbard und seinen Neigungen verlassen.
»Wir rufen Julina Kidd auf«, sagte Lanier.
Jake erkannte den Namen sofort als einen von den fünfundvierzig, die Lanier ihm zwei Wochen zuvor auf den Schreibtisch geknallt hatte. Jake hatte zweimal versucht, sie anzurufen, aber vergeblich. Sie wurde von einem Gerichtsdiener aus einem Zeu genzimmer geholt und zum Zeugenstand geführt. Wade Laniers eindeutigen und eindringlichen Anweisungen gemäß trug sie ein billiges blaues Kleid, das dem von Lettie ähnelte. Nichts Enges, nichts Verführerisches, nichts, was eine Figur gezeigt hätte, bei der man normalerweise zweimal hinsah. Kein Schmuck, nichts Auf fälliges. Sie tat alles, um unattraktiv zu wirken, was in ihrem Fall jedoch ein Ding der Unmöglichkeit war.
Die Botschaft war subtil: Wenn Seth Hubbard dieser
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