Die Erbin
spielte, nachtragend war und seine Mitmenschen im Dunkeln tappen ließ. Sie waren lange zusammen durch den Südosten gereist, als Mr. Hubbard die Holding zusammenkaufte, doch sie hatten sich nie angefreundet. Seth Hubbard hatte keine Freunde.
Um Punkt 7.30 Uhr betrat Jake das Café und entdeckte Amburgh am anderen Ende des Raumes. Das Lokal war halb voll, und der Fremde erntete ein paar Blicke. Amburgh und er schüt telten einander die Hand und tauschten Höflichkeiten aus. Nach ihrem kurzen Gespräch gestern erwartete Jake einen kühlen Empfang und wenig Kooperationsbereitschaft, wobei ihm Mr. Amburghs erste Reaktion kaum Sorgen bereitete. Seth Hub bard hatte ihn, Jake, eingesetzt, und sollte jemand etwas dagegen haben, wusste er Recht und Gesetz hinter sich. Amburgh jedoch wirkte relativ entspannt und durchaus gesprächsbereit. Nach ein paar Minuten Small Talk über Football und Wetter kam Amburgh zur Sache. »Ist das Testament eröffnet?«
»Ja, seit gestern Nachmittag, siebzehn Uhr. Ich bin nach der Beerdigung sofort zum Gericht in Clanton gefahren.«
»Haben Sie eine Kopie für mich?«
»Ja«, sagte Jake, ohne sich zu rühren. »Sie sind als Testamentsvollstrecker benannt. Nachdem es jetzt öffentlich zugänglich ist, können Sie natürlich eine Kopie haben.«
Amburgh öffnete die Handflächen. »Erbe ich auch etwas?«
»Nein.«
Er nickte grimmig. Hatte er damit gerechnet? Jake vermochte es nicht zu sagen. »Ich bekomme gar nichts?«
»Nein. Überrascht Sie das?«
Amburgh schluckte und sah sich um. »Nein«, sagte er lahm. »Eigentlich nicht. Bei Seth gibt es keine Überraschungen.«
»Es hat Sie nicht überrascht, dass er Selbstmord begangen hat?«
»Überhaupt nicht, Mr. Brigance. Die letzten zwölf Monate waren ein Albtraum. Seth konnte die Schmerzen nicht mehr ertragen. Er wusste, dass er sterben würde. Wir wussten, dass er sterben würde. Also, nein, es kam nicht überraschend.«
»Warten Sie, bis Sie das Testament gelesen haben.«
Eine Bedienung kam herbeigeeilt und blieb kaum lange genug stehen, um ihre Kaffeebecher aufzufüllen. Amburgh trank einen Schluck. »Erzählen Sie mir Ihre Geschichte, Mr. Brigance. Woher kennen Sie Seth?«
»Ich bin ihm nie begegnet.« Jake berichtete in kurzen Worten, wie es dazu kam, dass er jetzt an diesem Tisch saß. Amburgh hörte aufmerksam zu. Er hatte einen kleinen runden Kopf und eine Glatze, über die er sich unablässig strich, von den Augenbrauen nach hinten, als müsste er die wenigen verbliebenen dunklen Strähnen bändigen. Mit seinem Poloshirt, einer alten Baumwollhose und einer leichten Windjacke sah er eher aus wie ein Rentner als wie der Geschäftsmann von der Beerdigung.
»Ist es richtig zu sagen, dass Sie sein engster Vertrauter waren?«
»O nein. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, warum Seth mich unbedingt dabeihaben möchte. Mir fallen andere ein, die ihm näherstanden.« Ein großer Schluck Kaffee. »Seth und ich sind nicht immer besonders gut miteinander ausgekommen. Ich habe des Öfteren darüber nachgedacht zu kündigen. Je erfolgreicher er wurde, umso mehr Risiken ging er ein. Ich habe mehr als einmal damit gerechnet, dass er mit Pauken und Trompeten in die Insolvenz schlittert, wobei er irgendwo offshore genügend Reserven deponiert hatte. Er verlor jede Hemmung. Es war beängstigend.«
»Wenn wir schon beim Thema sind, lassen Sie uns über Seths Vermögen reden.«
»Sicher. Ich werde Ihnen erzählen, was ich weiß, aber ich weiß nicht alles.«
»Okay«, sagte Jake ruhig, als würden sie wieder über das Wetter plaudern. Seit fast achtundvierzig Stunden drängte es ihn zu erfahren, wie groß der Nachlass war. Endlich würde er es wissen. Er hatte weder Schreibblock noch Stift parat. Nur eine Tasse mit schwarzem Kaffee stand vor ihm.
Amburgh blickte sich wieder um, aber niemand schien zu lauschen. »Was ich Ihnen jetzt erzählen werde, ist kaum be kannt. Es ist nicht vertraulich, aber Seth war immer ziemlich gut darin, Dinge geheim zu halten.«
»Es wird ohnehin alles ans Licht kommen, Mr. Amburgh.«
»Ich weiß.« Er trank gierig von seinem Kaffee, als brauchte er eine gehörige Dosis Koffein, dann beugte er sich etwas vor. »Seth hat in den letzten zehn Jahren sehr viel Geld verdient. Nach der zweiten Scheidung war er verbittert und stinksauer auf die ganze Welt, außerdem pleite und fest entschlossen, diesen Zustand zu ändern. Er mochte seine zweite Frau sehr, und als sie ihn verlassen hat, wollte er sich rächen. Rache
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