Die Erbin
sämtliche Vermögenswerte zu eruieren.«
»Das sollte nicht allzu schwierig sein. Wir brauchen nur Zugang zu seinem Büro.«
»Wo ist das?«
»In dem Sägewerk bei Palmyra. Das war sein einziges Büro. Es gibt eine Sekretärin dort, Arlene, die den Laden schmeißt. Ich habe am Sonntagabend mit ihr gesprochen und ihr aufgetragen, alles unter Verschluss zu halten, bis sie von den An wälten hört.«
Jake trank noch einen Schluck Kaffee und versuchte, das alles zu verarbeiten. »Zwanzig Millionen? Ich wüsste niemanden in ganz Ford County, der annähernd so viel Geld hat.«
»Dazu kann ich nichts sagen, Mr. Brigance. Ich habe nie dort gelebt. Aber ich versichere Ihnen, dass hier in Milburn County niemand auch nur einen Bruchteil davon besitzt.«
»Südstaaten, und dann noch draußen auf dem Land.«
»Ja. Das ist das Großartige an Seths Geschichte. Er war sech zig, da ist er eines Morgens aufgewacht und hat sich gesagt, okay, ich bin pleite, aber ich hab die Schnauze voll davon, pleite zu sein, wie wär’s, wenn ich was dagegen unternehme. Als die ersten beiden Käufe gut gingen, entdeckte er die Lust daran, anderer Leute Geld auszugeben. Er hat sein Haus und seinen Grund bestimmt ein Dutzend Mal beliehen. Knallhart, und ohne mit der Wimper zu zucken.«
Die Bedienung brachte Porridge für Mr. Amburgh und Rühreier für Jake. Während sie Zucker und Salz beigaben, fragte Amburgh: »Hat er seine Kinder enterbt?«
»Ja.«
Lächeln, Nicken, kein Zeichen von Überraschung.
»Haben Sie damit gerechnet?«, fragte Jake.
»Ich rechne mit gar nichts, Mr. Brigance, und mich kann nichts überraschen«, erwiderte er herablassend.
»Ich habe etwas, was Sie mit Sicherheit überraschen wird«, sagte Jake und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Er hat seine bei den Kinder ausgeschlossen, seine beiden Exfrauen, die übrigens sowieso keinen Anspruch haben, und jeden, der sonst noch infrage kommen könnte, außer seinem seit Langem verschollenen Bruder Ancil, der fünf Prozent bekommt, falls er nicht schon verstorben ist, und der Kirche, die auch mit fünf Prozent bedacht ist. Die übrigen neunzig Prozent hat er Lettie Lang vermacht, seiner schwarzen Haushälterin, die drei Jahre für ihn gearbeitet hat.«
Amburgh hielt im Kauen inne, während sich sein Kiefer senkte und ihm die Augen aus den Höhlen zu treten schienen. Auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Furchen.
»Erzählen Sie mir nicht, Sie wären nicht überrascht«, sagte Jake siegesgewiss und schob sich eine Gabel voll Rührei in den Mund.
Amburgh atmete tief durch und streckte eine Hand aus. Jake zog eine Kopie des Testaments aus der Tasche und reichte sie ihm. Beim Lesen vertieften sich die Furchen auf Amburghs Stirn noch mehr. Er begann, langsam den Kopf zu schütteln, las dann noch einmal, faltete das Papier und legte es beiseite.
»Kannten Sie Lettie Lang?«, wollte Jake wissen.
»Hab sie nie kennengelernt. Ich war nie bei Seth daheim, Mr. Brigance. Er hat nie über sein Zuhause gesprochen oder über Leute, die dort arbeiten. Seth hat Geschäft und Privatleben sauber getrennt. Kennen Sie Lettie Lang?«
»Ich habe sie gestern zum ersten Mal gesehen. Sie kommt heute Nachmittag in mein Büro.«
Amburgh schob mit den Fingerspitzen langsam seine Schüssel von sich. Ihm war der Appetit vergangen. »Warum hat er das getan, Mr. Brigance?«
»Das wollte ich eigentlich Sie fragen.«
»Tja, es erscheint vollkommen unlogisch. Das Testament ist ein echtes Problem. Er muss den Verstand verloren haben. Und wer nicht testierfähig ist, kann kein gültiges Testament ver fassen.«
»Nein, das ist richtig, aber bislang ist das alles noch nicht klar. Er scheint seinen Tod minutiös geplant zu haben, als wüsste er genau, was er tut. Da passt es nicht ins Bild, dass er alles seiner Haushälterin vermacht.«
»Es sei denn, sie hat ihn manipuliert.«
»Ich denke, mit genau dem Argument wird man das Testament anfechten.«
Amburgh griff in eine seiner Taschen. »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
»Nein.«
Er steckte sich eine Mentholzigarette an und schnippte Asche auf seine Haferflocken. In seinem Kopf drehte sich alles, nichts passte zusammen. Schließlich sagte er: »Ich weiß nicht, ob ich den Mumm habe, das durchzuziehen, Mr. Brigance. Auch wenn er mich als Testamentsvollstrecker benannt hat, bin ich nicht gezwungen, das Amt zu übernehmen.«
»Sie sagten, dass Sie früher Anwalt waren. Sie reden wie einer.«
»Ich war damals ein kleines Licht, einer unter vielen,
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