Die Erbin
ihre Geschichten, und während sie sich abwechselnd mit der Kleinen beschäftigten, lasen sie Zeitung und sahen die Fernsehnachrichten. Um Punkt acht Uhr steckte Carla Hanna in die Badewanne, und dreißig Minuten später lag die Kleine im Bett, von Mommy und Daddy liebevoll eingepackt.
Endlich allein und auf dem klapprigen Sofa in eine Decke gewickelt, sagte Carla: »Okay, was ist los?«
Jake blätterte ein Sportmagazin durch. »Was meinst du?«
»Tu doch nicht so. Irgendwas ist. Ein neuer Fall? Ein neuer Mandant, der ein anständiges Honorar bezahlen kann oder vielleicht sogar ein richtig dickes Honorar, das uns aus diesem Elend rettet? Bitte.«
Jake schleuderte schwungvoll die Decke von sich und sprang auf die Beine. »Tja, in der Tat, meine Liebe, es besteht eine reelle Chance, dass wir dieses Elend bald hinter uns lassen können.«
»Ich wusste es. Ich sehe sofort, wenn du einen ordentlichen Autounfall an Land gezogen hast. Dann wirst du immer so zappelig.«
»Es ist kein Unfall.« Jake kramte in seinem Aktenkoffer, zog eine Akte heraus und reichte ihr ein paar Blätter. »Es ist ein Selbstmord.«
»Oh, das.«
»Genau. Gestern Abend habe ich dir nur von Mr. Seth Hubbards unglückseligem Ableben erzählt. Ich habe dir aber nicht erzählt, dass er vor seinem Tod ein neues Testament aufgesetzt hat, das er an mein Büro geschickt und in dem er mich zum Rechtsvertreter seines Nachlasses bestimmt hat. Heute Nachmittag habe ich das Testament eröffnet. Es ist jetzt öffentlich, ich darf also darüber reden.«
»Ist das der Typ, dem du nie begegnet bist?«
»Genau.«
»Du kennst den Typ gar nicht, bist aber zu seiner Beerdigung gegangen?«
»Stimmt.«
»Wie kam er ausgerechnet auf dich?«
»Mein herausragender Ruf. Lies einfach.«
Sie warf einen Blick darauf und sagte dann: »Es ist ja handgeschrieben.«
»Ach, tatsächlich.«
Jake rollte sich wieder mit seiner Frau auf dem Sofa ein und sah ihr aufmerksam zu, wie sie die zwei Seiten las. Langsam sank ihr Unterkiefer hinab, ihre Augen weiteten sich, und als sie fertig war, sah sie Jake fassungslos an. »›Möge sie ein qualvolles Ende ereilen‹? Was für ein Blödmann.«
»Offensichtlich. Ich habe ihn nie kennengelernt, aber Harry Rex hat seine zweite Scheidung abgewickelt und keine besonders hohe Meinung von Mr. Hubbard.«
»Von Harry Rex haben die meisten Menschen auch keine hohe Meinung.«
»Das stimmt.«
»Wer ist Lettie Lang?«
»Seine schwarze Haushälterin.«
»Ach, du meine Güte, Jake. Das ist ja skandalös.«
»Das hoffe ich doch sehr.«
»Hat er Geld?«
»Hast du den Teil gelesen, wo er schreibt: ›Meine Vermögenswerte sind beträchtlich‹? Ozzie hat ihn gekannt und bestätigt das. Ich fahre morgen früh nach Temple, um mich mit Mr. Russell Amburgh, dem Testamentsvollstrecker, zu treffen. Morgen Mittag werde ich schon erheblich schlauer sein.«
Sie wedelte mit den beiden Blättern und fragte: »Ist das denn gültig? Kann man so seinen Letzten Willen bekunden?«
»O ja. ›Nachlass und Testament I‹ wurde an der Ole Miss min destens fünfzig Jahre lang von Professor Robert Weems gelehrt. Ich hatte damals Bestnoten bei ihm. Solange alles vom Verstorbenen selbst verfasst, datiert und unterzeichnet ist, ist es ein gültiges Dokument. Ich bin sicher, seine beiden Kinder werden es trotzdem anfechten, aber da geht der Spaß ja erst richtig los.«
»Warum sollte er alles seiner schwarzen Haushälterin hinterlassen?«
»Wahrscheinlich fand er toll, wie sie geputzt hat. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat sie mehr für ihn getan, als nur zu putzen.«
»Nämlich?«
»Er war unheilbar krank, Carla, er hatte Lungenkrebs. Ich ver mute, Lettie Lang hat ihn gepflegt. Ganz offensichtlich mochte er sie. Seine zwei Kinder werden sich einen Anwalt nehmen und auf unzulässige Beeinflussung plädieren. Sie werden behaupten, sie habe sich dem alten Mann an den Hals geworfen, ihn um den Finger gewickelt und wer weiß, was noch alles. Es wird zu einem Verfahren kommen.«
»Vor Gericht?«
Jake lächelte verträumt. »O ja.«
»Wow. Wer weiß davon?«
»Ich habe den Antrag erst heute Nachmittag um fünf gestellt, das heißt, die Gerüchteküche konnte noch nicht in Gang kommen. Aber ich schätze, morgen früh um neun wird im Gericht die Hölle los sein.«
»Das wird heftige Wellen schlagen, Jake. Ein reicher Weißer, der seine Familie enterbt, um alles seiner schwarzen Haushälterin zu vermachen, und sich danach erhängt. Das ist doch wohl ein
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