Die Erbin
selbst für einen beißwütigen Prozessanwalt.
In Jakes Gericht, das er von seinem Fenster aus sehen konnte, hatte vor knapp drei Jahren der Hailey-Prozess stattgefunden, und auch wenn die drei es nie zugeben würden, so hatten sie dessen Verlauf aus der Ferne genauestens mitverfolgt. Und wie jeder Anwalt im ganzen Staat waren sie grün vor Neid gewesen, dass Jake so im Blickpunkt stand.
»Darf man fragen, wie Ihre Beziehung zu Mr. Hubbard aussah?«, fragte Stillman höflich.
»Ich bin ihm nie begegnet. Er ist am Sonntag gestorben, und sein Testament war am Montag in meiner Post.«
Die Aussage schien sie zu irritieren, und sie brauchten einen Augenblick, um sie zu verarbeiten. Jake beschloss, nicht locker zulassen. »Ich muss zugeben, dass ich noch nie so einen Fall hatte und noch nie ein handschriftliches Testament eröffnet habe. Ich nehme an, Sie haben jede Menge Abschriften von dem alten, das Ihre Kanzlei letztes Jahr aufgesetzt hat. Gehe ich recht in der Annahme, dass ich keine haben kann?«
Sie rutschten auf ihren Stühlen herum und tauschten Blicke. Stillman sagte: »Nun, Jake, wenn das Testament bestätigt worden wäre, dann wäre es jetzt öffentlich, und wir könnten Ihnen eine Kopie aushändigen. So allerdings haben wir es wieder unter Verschluss genommen, nachdem wir erfuhren, dass ein anderes Testament im Spiel ist. Unser Testament ist dann wohl noch vertraulich, schätze ich.«
»Wie Sie wollen.«
Die drei wechselten weiter nervöse Blicke. Offenbar wusste keiner so genau, was jetzt zu tun war. Stumm genoss Jake ihre Verunsicherung. »Also, ähm, Jake, wir fordern Sie hiermit auf, das handschriftliche Testament zurückzuziehen, damit wir das rechtmäßige eröffnen können«, sagte Stillman, der Prozess anwalt.
»Die Antwort lautet Nein.«
»Das war zu erwarten. Wie sollen wir Ihrer Meinung nach verfahren?«
»Ganz einfach, Stillman. Lassen Sie uns gemeinsam beim Gericht um eine Anhörung bitten, in der der Fall vorgetragen wird. Richter Atlee wird sich beide Testamente ansehen. Glauben Sie mir, er wird wissen, was zu tun ist. Ich bin einmal im Monat in seinem Gerichtssaal. Es wird keinen Zweifel geben, wer da das Sagen hat.«
»Ich habe das Gleiche gedacht«, sagte Lewis McGwyre. »Ich kenne Reuben seit vielen Jahren. Wir sollten bei ihm anfangen.«
»Ich kümmere mich gern um einen Termin«, bot Jake an.
»Sie haben also noch nicht mit ihm geredet?«, fragte Stillman.
»Natürlich nicht. Er hat keine Ahnung. Die Beerdigung war schließlich erst gestern, nicht wahr?«
Sie brachten es zuwege, sich höflich zu verabschieden und in Frieden auseinanderzugehen, wobei alle wussten, dass dies der Beginn einer Schlammschlacht war.
Lucien saß auf seiner vorderen Veranda und trank etwas, was nach Limonade aussah. Er tat das hin und wieder, wenn sein Körper und sein Leben im Whiskey zu ertrinken drohten. Dann stieg er für etwa eine Woche aus und gab sich den Qualen des Entzugs hin. Sein Haus lag vor der Stadt auf einem Hügel, und von der Veranda, die sich vollständig darum herumzog, konnte man auf Clanton und die Kuppel des Gerichtsgebäudes blicken. Wie alles andere, was Lucien gehörte, hatte er es von seinen Vorfahren geerbt, die in seinen Augen Armleuchter waren, obwohl sie, im Nachhinein betrachtet, bestens dafür gesorgt hatten, dass er ein komfortables Leben führen konnte. Lucien war dreiundsechzig, sah aber aus wie ein Greis. Sein Gesicht war ebenso grau wie sein Backenbart und seine wirren Haare. Whiskey und Zigaretten hatten seine Haut faltig gemacht. Weil er hauptsächlich auf seiner Veranda herumsaß, hatte er zu viel Speck um die Mitte und beständig schlechte Laune.
Vor neun Jahren hatte er seine Anwaltslizenz verloren, aber seine Sperre lief jetzt ab, und er durfte sich um eine Wiederaufnahme bemühen. Die frohe Botschaft hatte er Jake gegenüber schon mehrmals kundgetan, doch der hatte nicht reagiert. Jedenfalls nicht nach außen hin. Insgeheim graute ihm bei dem Gedanken, wieder einen Seniorpartner zu haben, dem das Büro gehörte und mit – oder unter – dem man schlechterdings nicht arbeiten konnte. Wenn Lucien wieder ins Büro einzog und anfing, alles und jeden zu verklagen und nebenbei Kinderschän der, Vergewaltiger und Mörder zu verteidigen, würde Jake es dort keine weiteren sechs Monate aushalten.
»Hallo Lucien, wie geht’s?«, fragte Jake noch auf der Treppe.
Nüchtern und mit frischem, klarem Blick antwortete Lucien: »Gut, Jake. Danke. Ich freue mich
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