Die Erbin
um, wie um sich zu vergewissern, dass Sallie nicht zuhörte. Schließlich sagte er: »Geht Sie nichts an. Wieso?«
Jake griff in seine Jacketttasche und zog ein paar Blätter heraus. »Hier. Das ist der Letzte Wille von Seth Hubbard, verfasst am letzten Samstag in vollem Bewusstsein dessen, was er am Sonntag tun würde. Das Original war am Montag in meinem Briefkasten.«
Lucien setzte seine Lesebrille auf, trank einen Schluck Limo nade und las Seths Testament. Als er zur zweiten Seite um blätterte, entspannte sich seine Miene sichtlich, und er begann zu lächeln. »Das gefällt mir«, befand er, senkte die Blätter und grinste Jake an. »Ich nehme an, Lettie ist die schwarze Haus hälterin.«
»Richtig. Ich bin ihr gestern zum ersten Mal begegnet. Klingelt bei dem Namen was?«
Das Testament in der Hand, fing Lucien an zu überlegen, worüber er sein Mittagessen vergaß. »An den Namen Tayber kann ich mich nicht erinnern, aber Lang ist mir ein Begriff. Box Hill ist eine ziemlich seltsame Gegend, ich habe mich da nie länger aufgehalten.« Während Jake weiteraß, ging er das Testament noch einmal durch. »Wie viel ist er wert?« Er faltete das Blatt und gab es Jake zurück.
»So um die zwanzig Millionen«, erwiderte Jake beiläufig, als wären solche Summen in Ford County gang und gäbe. »Er war mit Holz und Möbeln erfolgreich.«
»Offensichtlich.«
»Das meiste wurde inzwischen zu Bargeld gemacht.«
»Genau das, was diese Stadt braucht.« Lucien schüttelte sich vor Lachen. »Eine Schwarze, die das große Los zieht und damit mehr Geld hat als alle anderen.«
»Noch hat sie es nicht«, wandte Jake ein und ließ sich von Luciens guter Laune anstecken. »Ich habe mich gerade mit ein paar Anwälten von der Kanzlei Rush getroffen, die mir im Grunde genommen den Krieg erklärt haben.«
»Na klar. Würden Sie nicht für so eine Summe kämpfen?«
»Natürlich. Für viel weniger sogar.«
»Ich auch.«
»Hatten Sie je mit einem Testament zu tun, das angefochten wurde?«
»Aha, da liegt der Hund begraben. Sie wollen einen kostenlosen Rat von einem Exanwalt mit Berufsverbot.«
»Fälle wie dieser sind hierzulande eher selten.«
Lucien kaute nachdenklich und kratzte sich den Bart. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, da war nie etwas in dieser Richtung. Der Wilbanks-Clan hat über hundert Jahre um Ländereien, Aktien und Geld gekämpft. Da wurden zum Teil heftige Schlachten ausgetragen. Es gab Schlägereien, Scheidungen, Selbstmorde, Duelle, Morddrohungen – wir Wilbanks haben vor nichts zurückgeschreckt. Aber wir haben es immer geschafft, uns außergerichtlich zu einigen.«
Sallie erschien wieder und füllte die Gläser nach. Ein paar Minuten lang aßen sie schweigend. Lucien blickte über den Ra sen vor dem Haus. Mit funkelnden Augen sagte er: »Ist das nicht wahnsinnig spannend, Jake?«
»Allerdings.«
»Und jede Partei kann einen Geschworenenprozess verlangen?«
»Ja, das Gesetz besteht nach wie vor. Aber der Antrag auf eine Jury muss vor der ersten Anhörung gestellt werden, das heißt, so bald wie möglich. Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen, Lucien. Soll ich eine Jury beantragen oder Richter Atlee das Urteil überlassen? Das ist die große Frage.«
»Was, wenn Atlee ablehnt?«
»Das wird er nicht, weil die Sache viel zu spannend ist. Der größte Nachlass, den er je gesehen hat, ein voller Saal, Showtime. Wenn dann noch eine Jury dazukommt, ist er zwar derjenige, der den ganzen Zirkus leitet, aber das Urteil fällen andere.«
»Da könnten Sie recht haben.«
»Die Frage ist: Kann man in Ford County Geschworenen trauen? Es werden höchstens drei oder vier Schwarze dabei sein.«
»Im Hailey-Prozess waren es nur Weiße, wenn ich mich recht entsinne.«
»Aber das hier ist nicht Carl Lee Hailey, Lucien. Damals ging es um die Rassenfrage. Hier geht es um Geld.«
»In Mississippi geht es immer um die Rassenfrage, Jake, vergessen Sie das nicht. Eine einfache schwarze Frau, die im Begriff ist, das größte Vermögen zu erben, das dieses County je gesehen hat – und die Entscheidung liegt bei einer Jury, die überwiegend aus Weißen besteht. Rasse und Geld, Jake, das ist hierzulande eine seltene Kombination.«
»Sie würden also auf Geschworene verzichten?«
»Das habe ich nicht gesagt. Erlauben Sie mir, eine Weile darüber nachzudenken, ja? Mein kostbarer Rat, der für Sie immer noch gratis ist, will wohlbedacht sein.«
»Einverstanden.«
»Kann sein, dass ich heute Nachmittag
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