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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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immer, Sie zu sehen.«
    »Sie haben mich zum Essen eingeladen. Habe ich da jemals Nein gesagt?« Mindestens zweimal im Monat aßen sie hier auf der Veranda, vorausgesetzt, das Wetter spielte mit.
    »Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern«, sagte Lucien, der barfuß vor ihm stand und ihm die Hand entgegenstreckte. Sie tauschten einen herzlichen Händedruck und klopften sich dann kurz auf die Schulter, wie Männer es tun, wenn sie eine Umarmung vermeiden wollen. Dann nahmen sie auf den weißen Korbstühlen Platz, die noch nie bewegt worden waren, seit Jake vor zehn Jahren zum ersten Mal hier gewesen war.
    Bald erschien Sallie und begrüßte Jake. Er erklärte, dass er nichts gegen einen Eistee einzuwenden habe, woraufhin sie sich wieder entfernte, ganz gemütlich, ohne Eile, wie gewöhnlich. Sie war als Haushälterin eingestellt worden, dann aber zur Krankenschwester avanciert, als Lucien nach einem besonders exzessiven Gelage zwei Wochen lang außer Gefecht gewesen war und besondere Pflege benötigt hatte. Irgendwann war sie bei ihm eingezogen, und eine Zeit lang schwirrten Gerüchte durch Clanton. Lange hielten sie sich allerdings nicht, denn im Grunde genommen konnte Lucien Wilbanks sowieso niemanden mehr schockieren.
    Sallie brachte den Eistee und goss Lucien Limonade nach. Als sie weg war, sagte Jake: »Endlich trocken?«
    »Nie im Leben. Ich mache nur mal wieder eine Pause. Ich möchte gern noch zwanzig Jahre leben, Jake, und ich mache mir Sorgen um meine Leber. Ich will nicht sterben, ich will aber auch Jack Daniel’s nicht aufgeben, das ist mein Dilemma. Ich mache mir ständig Gedanken deswegen, und der ganze Stress und Druck wird irgendwann so groß, dass mir außer dem guten alten Jack niemand mehr helfen kann.«
    »Entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe.«
    »Trinken Sie?«
    »Nicht ernsthaft. Hier und da mal ein Bier, aber wir haben nie was zu Hause. Carla mag es nicht, wissen Sie.«
    »Meine zweite Frau mochte es auch nicht, und sie hat dann auch kein Jahr mit mir durchgehalten. Andererseits sah sie auch nicht aus wie Carla.«
    »Das war wohl ein Kompliment.«
    »Keine Ursache. Sallie kocht Gemüse, wenn das okay ist.«
    »Köstlich.«
    Es gab eine ungeschriebene Liste von Themen, die sie jedes Mal abarbeiteten. Die Reihenfolge war so vorhersehbar, dass Jake Lucien im Verdacht hatte, tatsächlich irgendwo einen Spickzettel zu haben. Zuerst die Familie, Carla und Hanna; dann die Kanzlei, die aktuelle Sekretärin, ein neuer lukrativer Fall, die Klage gegen die Versicherung, die Ermittlungen gegen den Klan, Neuigkeiten über Mack Stafford, den Anwalt, der mit dem Geld seiner Mandanten abgehauen war, Klatsch über andere Kollegen und Richter, College-Football und natürlich das Wetter.
    Sie gingen zu einem kleinen Tisch am anderen Ende der Veranda, wo Sallie das Mittagessen auftrug – Butterbohnen, Zucchini, geschmorte Tomaten und Maisbrot. Sie füllten ihre Teller, und Sallie verschwand wieder.
    Nach ein paar schweigenden Bissen fragte Jake: »Haben Sie eigentlich Seth Hubbard gekannt?«
    »Ich habe heute Morgen in der Zeitung darüber gelesen. Traurige Geschichte. Ich bin ihm ein- oder zweimal begegnet, das ist bestimmt fünfzehn Jahre her, irgendeine Lappalie. Hab ihn nie verklagt, was ich natürlich immer bedauert habe. Er könnte einiges an Kohle gehabt haben, und ich habe versucht, jeden zu verklagen, der was hat, und das ist, wie Sie wissen, in dieser Gegend ein ziemlich kleiner Club. Warum?«
    »Ich habe einen Fall für Sie. Der ist natürlich rein hypothetisch.«
    »Kann das nicht warten? Ich esse noch.«
    »Nein. Stellen Sie sich vor: ein Nachlass, keine Frau, keine Kinder, nur ein paar entfernte Verwandte und eine reizende schwarze Haushälterin, die den Anschein erweckt, etwas mehr zu sein als nur die Haushälterin.«
    »Klingt nach Einflussnahme. Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Wenn Sie heute ein neues Testament aufsetzen wollten, wen würden Sie dann als Erben einsetzen?«
    »Auf jeden Fall nicht Sie.«
    »Wenn es Sie beruhigt, Sie kommen in meinem Testament auch nicht vor.«
    »Das macht nichts. Übrigens, Sie haben die letzte Miete noch nicht bezahlt.«
    »Der Scheck ist in der Post. Würden Sie bitte meine Frage beantworten?«
    »Nein. Ihre Frage gefällt mir nicht.«
    »Ach, kommen Sie schon. Spielen Sie mit. Mir zuliebe. Wenn Sie jetzt ein neues Testament schreiben würden, wer würde dann alles bekommen?«
    Lucien stopfte sich Maisbrot in den Mund und kaute bedächtig. Er sah sich

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