Die Erbin
vorbeikomme. Ich suche ein altes Buch, das auf dem Speicher liegen könnte.«
»Das Haus gehört Ihnen«, sagte Jake und leerte seinen Teller.
»Und Sie sind spät dran mit der Miete.«
»Verklagen Sie mich doch.«
»Liebend gern, aber Sie sind eh pleite. Sie wohnen zur Miete, und Ihr Auto hat fast ebenso viele Kilometer auf dem Buckel wie meines.«
»Ich hätte auch in die Möbelindustrie gehen sollen.«
»Alles ist besser als die Juristerei. Der Fall gefällt mir, Jake. Kann sein, dass ich daran arbeiten möchte.«
»Klar, Lucien«, gelang es Jake, ohne Zögern zu sagen. »Kommen Sie später vorbei, dann können wir uns unterhalten.« Er stand auf und legte seine Serviette auf den Tisch.
»Kein Kaffee mehr?«
»Nein, ich muss los. Danke für die Einladung, und bestellen Sie Sallie schöne Grüße von mir.«
11
Ein neugieriger Anwaltsassistent, der sich durch alte Grund stücksregister wühlte, schnappte das Gerücht auf, das vom Was serspender herüberwehte, und ging sofort los, um Kopien von dem Testament zu machen, dessen Eröffnung zuletzt beantragt worden war. Zurück im Büro, zeigte er es seinen Chefs, machte weitere Kopien und begann, es herumzufaxen. Seine Chefs faxten es weiter. Am Mittwoch gegen zwölf war Seths zweiseitiges Testament gleichmäßig über das ganze County verteilt. Die Passage mit dem qualvollen Ende fand besonderen Anklang, doch alsbald wurde nur noch darüber spekuliert, wie hoch das Netto vermögen des Verstorbenen war.
Sobald Herschel das Haus seines Vaters verlassen hatte, rief er seinen Anwalt in Memphis an, um ihm die freudige Nachricht zu übermitteln, dass er bald »mehrere« Millionen Dollar erben werde. Sorgen bereitete ihm vor allem seine Exfrau – die Scheidung war ihn teuer zu stehen gekommen –, und er wollte wissen, ob sie Ansprüche erheben könne. Nein, wurde ihm versichert, das könne sie nicht. Der Anwalt rief einen befreundeten Kollegen an, um die Neuigkeit mit ihm zu teilen, und streute beiläufig ein, dass Seth Hubbard einen Nettowert von »über zwanzig Millionen« habe. Der Anwalt in Tupelo rief ebenfalls ein paar Kollegen an. Unterdessen nahm der mutmaßliche Umfang des Vermögens weiter zu.
Auf dem Natchez Trace Parkway Richtung Süden stellte Ian Dafoe seinen Tempomat ein und lehnte sich entspannt zurück. Es würde eine angenehme Fahrt werden, der Verkehr hielt sich in Grenzen, die Sonne schien, und im leichten Wind tanzte das Herbstlaub. Obwohl seine Frau ihm wie immer das Leben schwer machte, hatte er Grund, sich zu freuen. Das Gerede von Scheidung hatte er vorerst abgewendet. Sie war verkatert, hatte gerade ihren Vater beerdigt und war sowieso mit den Nerven am Ende. Selbst an einem guten Tag kam Ramona mit Widrig keiten schlecht zurecht. Er würde sie beruhigen und wieder zu sich bringen können, sie so einlullen, dass ihre Eheprobleme in den Hintergrund traten und sie darüber reden konnten, wie sie mit ihrem neuen Reichtum verfahren sollten. Gemeinsam. Er war sich sicher, dass er das hinbiegen konnte.
Ramona lag auf der Rückbank, einen Arm über den Augen, und versuchte zu schlafen. Seit einer Weile schon hatte sie nichts mehr gesagt, und ihr Atem ging schwer und gleichmäßig. Er drehte sich mehrmals um, um sich zu vergewissern, dass sie wirk lich schlief, dann griff er vorsichtig zu seinem neuen Autotelefon und rief in der Firma an. So leise wie möglich gab er seinem Partner Rodney die wichtigsten Eckdaten durch. »Schwie gervater gestorben … Nachlass mehr als zwanzig Millionen … Möbel und Holz … ziemlich unglaublich … hatten keine Ahnung davon … habe gerade erst das Testament gesehen … vierzig Prozent, nach Steuern … nicht schlecht … etwa ein Jahr … nein, kein Witz … später mehr.«
Die Hand am Steuer, freute sich Ian über die bunt gefärbten Blätter und träumte von einem besseren Leben. Selbst wenn Ramona sich scheiden ließe, würde er einen Teil ihres Erbes be kommen. Er dachte schon daran, seinen Anwalt anzurufen, entschied sich dann aber abzuwarten. Da klingelte plötzlich das Telefon, erschreckte ihn und weckte Ramona. Er nahm ab. »Hallo?«
Eine förmliche männliche Stimme meldete sich. »Ja, hallo, Ian, hier ist Stillman Rush, ich hoffe, ich störe nicht. Wir sind auf dem Weg zurück nach Tupelo.«
»Keineswegs. Wir fahren Richtung Süden und haben noch ein paar Stunden vor uns. Beste Voraussetzungen, um ein bisschen zu plaudern.«
»Ja, nun, also, es hat da eine kleine Komplikation
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