Die Erbin
ihre Kinder kamen und setzten sich ganz links außen auf eine der Zuschauerbänke, hinter ihre Anwälte und so weit wie möglich von denen auf der anderen Seite ent fernt. Vor der Schranke drückten sich neugierige Anwälte herum, als hätten sie an diesem Tag ebenfalls einen Termin vor Gericht. Dramatisch wurde es, als sich Booker Sistrunk und seine Entou rage durch die Tür quetschten, den Mittelgang blockierten und den Gerichtssaal in Beschlag nahmen, als wäre er ausschließ lich für sie reserviert worden. Arm in Arm mit Lettie führte Sistrunk seine Schar den Gang hinunter, während er alle anderen herausfordernd anstarrte und – wie immer – geradezu nach Streit suchte. Er setzte seine Mandantin in die erste Reihe, bugsierte Simeon und die Kinder neben sie und stellte dann einen muskelbepackten jungen Schwarzen in einem schwarzen Anzug mit schwar zem Hemd und schwarzer Krawatte vor sie, als bestünde Gefahr, dass plötzlich Attentäter oder Fans aus dem Nichts auf tauchten. Um Lettie herum saßen diverse Cousins, Tanten, Onkel und Nachbarn nebst einiger Sympathisanten.
Buckley sah sich die Prozession an und konnte seinen Argwohn kaum unterdrücken. Zwölf Jahre lang hatte er es in dieser Gegend mit Geschworenen zu tun gehabt. Er hatte viel Er fahrung darin, Geschworene auszusuchen, sie zu verstehen, ihre Reaktion vorherzusagen, mit ihnen zu reden und sie zu manipulieren, meistens jedenfalls. Und er wusste sofort, dass Booker Sistrunks großspurige Show in diesem Gerichtssaal nicht funk tionieren würde. Ein Leibwächter? Also wirklich. Lettie war eine miserable Schauspielerin. Man hatte ihr eingetrichtert, möglichst bedrückt, ja niedergeschlagen zu wirken, als wäre sie in tiefer Trauer um ihren lieben verstorbenen Freund, dessen ihr rechtmäßig zustehendes Erbe die habgierigen Weißen ihr nun entreißen wollten. Sie gab sich alle Mühe, so auszusehen, als würde man sie ungerecht behandeln.
Sistrunk und sein Partner, Kendrick Bost, gingen durch die Schranke und begrüßten mit gewichtigen Worten ihren Kollegen, Mr. Buckley. Sie fügten dem Chaos auf dem begehrten Tisch noch mehr Papier hinzu, während sie die Anwälte auf der anderen Seite komplett ignorierten. Als es auf 8.45 Uhr zuging, strömten immer mehr Zuschauer herein.
Jake betrat den Gerichtssaal durch eine Seitentür und be merkte sofort, dass sein Platz bereits besetzt war. Er begrüßte Wade Lanier, Stillman Rush und die übrigen Anwälte der an fechtenden Parteien mit Handschlag. »Sieht ganz so aus, als hät ten wir ein Problem«, sagte er zu Stillman, während er mit dem Kopf auf Buckley und die Anwälte aus Memphis wies.
»Viel Glück«, meinte Stillman.
Jake entschied sich spontan dafür, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Unauffällig verließ er den Gerichtssaal und machte sich auf den Weg zum Richterzimmer. Herschel Hubbard kam, in Begleitung seiner beiden Kinder und einiger Freunde. Sie setzten sich in die Nähe von Ian und Ramona. Als es neun Uhr war, herrschte im Gerichtssaal praktisch Rassentrennung: Schwarze auf der einen Seite, Weiße auf der anderen. Lucien saß natürlich auf der Seite der Schwarzen, irgendwo ganz hinten.
Jake kam zurück und stellte sich abseits von den anderen in die Nähe einer Tür neben der Geschworenenbank. Er sprach mit niemandem und brachte es tatsächlich fertig, lässig durch eine Akte zu blättern. Um 9.05 Uhr brüllte Mr. Pate: »Erheben Sie sich!«, und Richter Atlee rauschte herein, während sich hinter ihm seine alte, ausgebleichte schwarze Robe bauschte. Er nahm Platz und sagte: »Setzen Sie sich«, dann starrte er in den Gerichtssaal. Er starrte und starrte, runzelte ausgiebig die Stirn, sagte aber kein Wort. Dann sah er Jake an, warf Buckley, Sistrunk und Bost einen finsteren Blick zu und nahm ein Blatt Papier in die Hand. Er verlas die Liste der Anwälte; sie waren vollzählig anwesend, insgesamt zehn.
»Wir fangen mit ein bisschen Organisation an. Mr. Buckley, Sie haben angezeigt, dass Sie für die in Memphis ansässige Kanz lei Sistrunk & Bost bei diesem Verfahren als Korrespondenz anwalt tätig werden wollen. Ist das richtig?«
Buckley, der es gar nicht erwarten konnte, aufzustehen und sich Gehör zu verschaffen, schnellte hoch und erwiderte: »Das ist richtig, Euer Ehren. Ich …«
»Und danach haben Sie und Ihre assoziierten Anwälte anscheinend eine ganze Bootsladung von Anträgen gestellt, die heute alle entschieden werden sollen. Ist das richtig?«
»Ja, Euer
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