Die Erbin
aus. Oder Machtlosigkeit. Sie sorgte dafür, dass manche Anwälte oder Verhandlungsparteien von den Geschworenen, deren Blick immer in diese Richtung ging, besser oder nicht so gut gesehen werden konnten. Gelegentlich schuf sie die optimalen Voraussetzungen für einen Kampf David gegen Goliath, wenn ein einzelner Anwalt und sein verkrüppelter Mandant einer Phalanx aus Firmenanwälten im Anzug gegenübersaßen oder ein sichtlich mitgenommener Angeklagter mit der geballten Macht des Staates konfrontiert wurde. Die Sitzordnung war wichtig, wenn hübsche Anwältinnen kurze Röcke trugen und auf der Geschworenenbank fast nur Männer saßen, und sie war genauso wichtig, wenn Möchtegern-Cowboys mit spitzen Stiefeln ihre Show abzogen.
Als Staatsanwalt hatte sich Rufus nie Gedanken um die Sitzordnung gemacht, weil sie kein Problem gewesen war. Aber ein Testament wurde nur selten angefochten, und er und Mr. Sis trunk hatten eine Entscheidung getroffen. Sie wollten den Tisch in Beschlag nehmen, an dem sonst immer der Staatsanwalt oder der Kläger saß, den Tisch, der der Geschworenenbank am nächsten stand, und sich auf diese Weise als die wahre Stimme der Parteien, die die Testamentseröffnung beantragt hatten, präsentieren. Jake Brigance würde vermutlich Zeter und Mordio schreien, aber das war ihnen egal. Es war an der Zeit, die Rollen zu verteilen, und da ihre Mandantin die Begünstigte von Seth Hubbards sehr wohl gültigem letztem Testament war, woll ten sie ihre Ansprüche geltend machen.
Insgeheim war sich Rufus allerdings nicht so sicher, ob diese Strategie aufgehen würde. Er hatte viele Geschichten über den Ehrenwerten Reuben V. Atlee gehört, der wie die meisten alten, erfahrenen und häufig etwas schrulligen Richter in Mississippi mit eiserner Faust regierte und Außenstehende oftmals mit Skep sis betrachtete. Aber Sistrunk suchte Streit und wollte bestimmen, wo es langging. Egal, was passierte, es würde auf jeden Fall spannend werden, und er, Rufus, würde an vorderster Front dabei sein.
Schnell stellte er die Stühle am Tisch zu seiner Rechten um, sodass nur noch drei übrig waren, und schob den Rest zur Seite. Er packte den Inhalt eines prall gefüllten Aktenkoffers aus und verteilte Dokumente und Notizblöcke auf der Tischplatte, als säße er schon seit Stunden im Gerichtssaal und hätte noch einen ganzen Tag Arbeit vor sich. Dann wechselte er einige Worte mit Mr. Pate, einem der Gerichtsdiener, als dieser Glaskrüge mit Wasser und Eiswürfeln füllte. Früher hätten er und Mr. Pate sich eine Weile über das Wetter unterhalten, aber Rufus interes sierte sich nicht mehr für Niederschläge.
Dumas Lee schlich herein. Als er Buckley erkannte, ging er sofort auf ihn zu. Er hatte eine Kamera um den Hals hängen und bereits seinen Notizblock gezückt, doch als er fragte: »Mr. Buck ley, was führt Sie hierher?«, wurde er ignoriert. »Ich habe gehört, dass Sie der Korrespondenzanwalt für Lettie Lang sind. Ist das richtig?«
»Kein Kommentar«, erwiderte Rufus, während er ein paar Akten zurechtrückte und leise vor sich hin summte.
Die Zeiten haben sich geändert, dachte Dumas. Der alte Rufus hätte sich fast umgebracht, um mit einem Reporter zu reden, und früher wäre niemand auf die Idee gekommen, sich zwischen den Bezirksstaatsanwalt und eine Kamera zu stellen.
Dumas trollte sich und sagte etwas zu Mr. Pate, der ihn anfuhr: »Schaffen Sie die Kamera hier raus!« Also verließ Dumas den Gerichtssaal und ging nach draußen, wo er und ein Kollege in hoffnungsvoller Erwartung eines schwarzen Rolls-Royce ausharrten.
Wade Lanier kam herein, zusammen mit seinem Partner, Lester Chilcott. Sie nickten Buckley zu, der aber viel zu beschäf tigt war, um sich mit ihnen zu unterhalten, und registrierten amüsiert die Übernahme des Klägertisches. Auch sie machten sich an die dringliche Aufgabe, schwere Aktenkoffer auszupacken und sich auf die Schlacht vorzubereiten. Wenige Minuten später tauchten Stillman Rush und Sam Larkin auf und begrüß ten ihre Quasi-Kollegen. Sie standen alle auf der gleichen Seite des Gerichtssaals und würden viele der gleichen Debatten an stoßen, doch in diesem frühen Stadium des Verfahrens waren sie noch nicht bereit, einander zu vertrauen. Zuschauer strömten herein, und bald war im Gerichtssaal das leise Gemurmel ge dämpfter Begrüßungen und angeregter Gespräche zu hören. Gerichtsdiener in Uniform liefen herum, rissen Witze und hießen die Leute willkommen.
Ian, Ramona und
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