Die Erbin
seinem Gesicht gesehen zu haben; anderen wiederum fiel nichts auf. Umringt von Gerichtsdienern, wurde Sistrunk durch die Schranke und dann durch den Mittelgang geschoben. Als er an Lettie vorbeikam, sagte er mit lauter Stimme: »Ich werde sie kriegen, Lettie. Machen Sie sich keine Sorgen. Diese Rassisten werden Ihr Geld nie bekommen. Vertrauen Sie mir.« Dann wurde er weiter den Mittelgang hinunter- und zur Tür hinausgedrängt.
Aus Gründen, die kein Mensch je verstehen würde, fühlte Rufus Buckley sich genötigt, aufzustehen und etwas zu sagen. »Euer Ehren, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir dadurch eindeutig benachteiligt werden«, verkündete er in dem totenstillen Gerichtssaal.
Richter Atlee sah einen der verbliebenen Gerichtsdiener an, deutete auf Buckley und sagte: »Nehmen Sie ihn mit.«
»Wie bitte?«, stieß Buckley hervor.
»Mr. Buckley, ich belange Sie wegen Missachtung des Gerichts. Bringen Sie ihn bitte weg.«
»Aber warum, Euer Ehren?«
»Weil Sie anmaßend und außerdem eingebildet, respektlos, arrogant und noch eine ganze Menge anderer Dinge sind. Raus jetzt!«
Buckley, der blass geworden war und mit weit aufgerissenen Augen vor sich hinstarrte, wurden Handschellen angelegt. Er, Rufus Buckley, ehemaliger Bezirksstaatsanwalt und Inbegriff von Gesetzestreue, Moral und Ethik in ihrer höchsten Form, wurde wie ein gewöhnlicher Krimineller abgeführt. Jake hätte am liebsten Beifall geklatscht.
»Und stecken Sie ihn zu seinem Kollegen in die Zelle«, brüllte Richter Atlee ins Mikrofon, während Rufus den Mittel gang hinunterwankte und mit einem Ausdruck tiefster Verzweif lung im Gesicht nach einem Freund suchte.
Als die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, schnappten alle nach der wenigen Luft, die noch im Gerichtssaal verblieben war. Die Anwälte waren sicher, etwas gesehen zu haben, was sie nie wieder erleben würden, und begannen, amüsierte Blicke zu wechseln. Richter Atlee tat so, als würde er sich Notizen machen, während alle anderen versuchten, Atem zu holen. Schließlich hob er den Kopf und sagte: »Mr. Bost, haben Sie etwas zu sagen?«
Mr. Bost hatte nichts zu sagen. Ihm ging gerade eine ganze Menge durch den Kopf, aber angesichts der aktuellen Laune des Richters war er so vernünftig, den Mund zu halten.
»Gut. Sie haben jetzt ungefähr dreißig Sekunden Zeit, den Tisch zu räumen und sich da drüben auf die Geschworenenbank zu setzen. Mr. Brigance, würden Sie sich bitte an den Ihnen zustehenden Platz in meinem Gerichtssaal setzen?«
»Mit Vergnügen, Euer Ehren.«
»Wenn ich es mir recht überlege – wir machen erst mal zehn Minuten Pause.«
Ozzie Walls hatte Humor. In der kreisrunden Auffahrt hinter dem Gerichtsgebäude standen vier mit Antennen und Signallichtern ausgerüstete Streifenwagen, auf deren Karosserie jede Menge Buchstaben und Ziffern prangten. Als der Sheriff seine Männer um die beiden festgenommenen Anwälte postierte, traf er spontan die Entscheidung, sie zusammen wegzubringen. »Setzt sie in meinen Wagen«, ordnete er an.
»Dafür werde ich Sie verklagen«, drohte Sistrunk zum zehnten Mal.
»Wir haben auch Anwälte«, gab Ozzie zurück.
»Ich werde jeden einzelnen von euch dämlichen Hinter wäldlern verklagen.«
»Unsere Anwälte sitzen nicht im Gefängnis.«
»Vor einem Bundesgericht.«
»Ich liebe Bundesgerichte.«
Sistrunk und Buckley wurden durch den Hinterausgang ge schoben und auf die Rückbank von Ozzies großem braunem Ford gesetzt. Dumas Lee und einer seiner Kollegen fotografierten, was das Zeug hielt.
»Ziehen wir eine kleine Show für sie ab«, sagte Ozzie zu seinen Männern. »Signallichter, aber keine Sirenen.«
Ozzie setzte sich ans Steuer, ließ den Motor an und fuhr lang sam los. »Haben Sie schon mal auf dem Rücksitz eines Streifenwagens gesessen, Rufus?«
Buckley, der hinter dem Sheriff saß, gab keine Antwort. Er duckte sich so tief wie möglich und starrte aus dem Fenster, wäh rend die Autokolonne über den Clanton Square kroch. Einen knappen Meter neben ihm saß Booker Sistrunk wegen seiner auf dem Rücken gefesselten Hände etwas verdreht da und quasselte einfach weiter: »Sie sollten sich schämen, einen Schwarzen so zu behandeln.«
»Die Weißen werden genauso behandelt.«
»Sie verstoßen gegen meine Bürgerrechte.«
»Und Sie verstoßen mit Ihrer großen Klappe gegen meine. Wenn Sie jetzt nicht sofort den Mund halten, sperre ich Sie unter dem Gefängnis ein. Wir haben dort einen kleinen Keller.
Weitere Kostenlose Bücher